Start des neuen hessische Landtags Eine Rhein-Wahl, eine AfD-Rede und Handkäse-Tartar
Der 21. Hessische Landtag hat seine Arbeit aufgenommen. Erstmals regiert eine unionsgeführte CDU/SPD-Koalition. Aber es gibt noch mehr Wissenswertes über den Start.
Der Landtag ist tot, es lebe der Landtag: Rund 100 Tage nach der Hessen-Wahl konstituierte sich am Donnerstag das neue Parlament. Mit der Daueraufgabe, Gesetze zu beschließen und die Regierung zu kontrollieren, geht es aber erst später los.
Zuerst einmal stand die Wahl des Ministerpräsidenten an, der anschließend sein altes Kabinett verabschiedete und die neuen Regierungsmitglieder ernannte und ihnen den Amtseid abnahm.
Wie wichtig viele künftige Debatten und Entscheidungen in Wiesbaden für die Bürgerinnen und Bürger werden, hat die vergangene Wahlperiode mehrmals auf dramatische Weise gezeigt - nicht zuletzt mit den manchmal existenziellen Entscheidungen in der Corona-Pandemie.
Es schadet also nicht, das Wissen über den aktuellen Landtag ein wenig aufzufrischen oder zu erweitern. Und gegen ein bisschen völlig nutzloses Wissen zum Dessert ist auch nichts einzuwenden.
1. Warum ein AfD-Politiker die Eröffnungsrede halten durfte
Weil dafür der älteste Abgeordnete zuständig ist, dem automatisch der Titel Alterspräsident zufällt. Ihn stellt wie schon bei der Eröffnung des vorigen Landtags die AfD. Diesmal war es Bernd-Erich Vohl mit seinen 73 Jahren.
2. Warum sich die AfD trotzdem ärgerte
Weil sie bei den Wahlen für das Präsidium des Landtags wieder leer ausging. Die Wiederwahl der Präsidentin Astrid Wallmann (CDU) lief reibungslos. Fast alle stimmten für die 44-Jährige, einzig die AfD enthielt sich. Auch ihre designierten Stellvertreter Frank Lortz (CDU), Daniela Sommer (SPD), Angela Dorn (Grüne) und René Rock (FDP) hatten keinen Grund zu zweifeln und wurden gewählt.
Auf die AfD-Kandidatin Anna Ngyuen trifft das nicht zu. Für sie wäre zwar auch noch ein Platz frei gewesen. Wegen prinzipieller Zweifel an der Treue der AfD zur Demokratie fielen aber nicht nur deren Vizepräsidenten-Anwärter in der Vergangenheit stets durch. Das war in drei Wahlgängen auch diesmal der Fall.
3. Wie die Machtverhältnisse sind
Die größte Fraktion des neuen Landtags ist bei der Wahl am 8. Oktober die CDU geworden. Im von 137 auf 133 Sitze geschrumpften Parlament hat sie mit 52 die mit Abstand meisten Abgeordneten. Zusammen mit der SPD, mit der sie künftig regiert, kommt die schwarz-rote Koalition auf insgesamt 75 Stimmen.
Die stärkste Oppositionsfraktion ist erstmals die AfD. In einem "Demokratiepaket" haben die anderen Fraktionen wegen des Höhenflugs einige Vorkehrungen getroffen, die ihrer Meinung nach gegen sie nötig sind. Dass sich die AfD werbewirksam Oppositionsführerin nennen wird, können sie nicht verhindern.
4. Warum Boris Rhein nicht zittern musste
Die Wiederwahl des CDU-Ministerpräsidenten am frühen Nachmittag galt schon vorher als gewiss: Mit 76 Stimmen bekam Rhein sogar eine Stimme mehr, als das Regierungslager hat.
Wer genau für wen stimmte, bleibt geheim. Denkzettel, zum Beispiel aus Enttäuschung nach der Verteilung der Regierungsposten, wurden also vermutlich nicht verteilt.
Die SPD, seit 25 Jahren erstmals wieder an der Regierung beteiligt, hat sich in diesen Personalfragen gerade sogar mächtig gezofft. Günter Rudolph, ein maßgeblicher Architekt der neuen Koalition, ist dabei vom linken Parteiflügel geradezu demontiert worden.
Der 67-Jährige hatte deshalb gegenüber dem hr bittere Kritik an Egoismus und Machtspielchen geübt, die mancher Genosse an den Tag gelegt habe. Am Donnerstag sagte er aber auch: Er freue sich sehr über die Wahl Rheins und die Regierungsbeteilgung der SPD.
5. Warum die neue Sitzordnung umstritten ist
Die bekannte "politische Gesäßordnung" arbeitet nach dem Schema "Wer links sitzt, ist links - wer rechts sitzt, ist rechts". Das rührt von der Französischen Revolution her, passt aber heutzutage nicht immer zu Realität oder Selbstwahrnehmung. Außerdem ist es wie in der Schule: Man will sich seine Nachbarn ja lieber selbst aussuchen.
Die Grünen, die sich als Mitte-Links-Partei betrachten, wurden widerwillig ganz links platziert. Ein Grund: Die Linkspartei ist nicht mehr im Landtag. Der andere, wichtigere: Die ziemlich in der Mitte sitzende CDU hat die Koalitionspartner getauscht und sich die SPD an ihre Seite geholt.
Die FDP saß schon beim letzten Mal nicht so gerne halbrechts direkt neben der AfD. Aber dabei bleibt es. Wunschlos glücklich ist auch die AfD nicht. Sie fühlt sich ganz rechts augenscheinlich wohl, hätte sich aber ein wenig mehr Abstand zu Sascha Herr gewünscht. Der neue Abgeordnete ist aus der AfD ausgetreten und fraktionslos, weil Neonazi-Kontakte bekannt wurden. Nun sitzt er aber doch in der letzten Reihe direkt bei seinen Ex-Parteifreunden.
6. Wie alt das Parlament ist ...
Im Schnitt sind die neuen Parlamentarier 47,5 Jahre alt und damit etwas jünger als ihre Vorgänger und nur ein wenig älter als der Durchschnittshesse.
Dass die AfD den Alterspräsidenten stellt, ist kein Zufall: Sie hat mit 51 Jahren den höchsten Altersschnitt. Mit Abstand am jüngsten sind die Grünen mit einem Schnitt von 43 Jahren.
7. ... und wie weiblich
Der Frauenanteil, in ganz Hessen bei knapp 51 Prozent, liegt im Landtag deutlich darunter. Nicht ganz 31 Prozent sind es. Einzig bei den Grünen sind Frauen mit 54,5 Prozent in der Überzahl. In der neuen CDU/SPD-Regierung ist das Ungleichgewicht bei neun Ministern und drei Ministerinnen mit einem Frauenanteil von 25 Prozent noch größer. Das unterbietet im Landtag einzig die AfD. Hier sind gerade einmal acht Prozent der Fraktionsmitglieder weiblich.
8. Was es zu essen gab ...
Nach dem Motto "Voller Bauch votiert nicht gerne" war mittags wahlweise ein ungarisches Gulaschsüppchen oder ein Kartoffelsüppchen zu haben.
Nach getaner Arbeit wird der Imbiss ein wenig umfangreicher: Hähnchenspieße mit mariniertem Ananassalat und Handkäse-Tartar mit roten Zwiebeln und Brotchips sollen auf der Karte stehen. Als Dessert winkt ein "Hessischer Apfeltraum".
9 ... und wie es nach dem Dessert weitergeht
Richtig politisch zur Sache wird es eine Woche später gehen. Es ist üblich, dass der frisch gewählte Ministerpräsident dann eine längere, grundsätzliche Regierungserklärung vor dem Parlament abgibt.
Wegen der legendären 100-Tage-Schonfrist zur Einarbeitung - ursprünglich ein Stillhalteabkommen zwischen Journalisten und Politik - hält sich zwar auch die Opposition anfangs gerne mal ein bisschen mehr zurück als später. Ohne Kritik wird es aber nicht abgehen, zumal der Koalitionswechsel bei den nach zehn Jahren nun oppositionellen Grünen Wunden geschlagen hat.
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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 18.01.2024, 19.30 Uhr
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