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Herbe Verdienstungleichheit in Finanzbranche

Eine Frau und ein Mann an einem Arbeitsplatz

Der Gender Pay Gap, der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern, ist in ländlichen Regionen in Hessen besonders groß. Doch auch manche Branchen in urbanen Zentren sorgen dafür, dass die Mahnungen zum Equal Pay Day so schnell nicht Geschichte werden dürften.

"Mein männlicher Kollege hat um die zwölf Prozent mehr verdient als ich. Ich habe mehrere Monate lang dafür kämpfen müssen, dass ich das gleiche Gehalt kriege", berichtet Sandra Meier. Die Berufstätige aus Frankfurt möchte sich öffentlich dazu aber nur äußern, wenn ihr wahrer Name und selbst die Branche ihres Arbeitsgebers in diesem Bericht nicht genannt werden. Nur so viel: Es ist ein großes Unternehmen.

Dabei geht es wie Sandra Meier vielen Frauen in Hessen. Auf hr-Anfrage findet sich aber keine Betroffene, die offen über die strukturell ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern sprechen möchte, weil sie negative Konsequenzen für sich in ihrem Job fürchtet. Und darin liegt schon ein Grund dafür, warum auch 2024 noch über den Equal Pay Day berichtet wird.   

Dieser Tag fällt in diesem Jahr auf den 6. März. Statistisch gesehen haben Frauen im Vergleich zu Männern in diesem Jahr bisher umsonst gearbeitet, einfach weil der Verdienst bei Männern so viel höher liegt als bei Frauen.

Im Durchschnitt ein Fünftel weniger Verdienst

Nach Angaben des Statistischen Landesamts lag der Unterschied im vergangenen Jahr in Hessen bei rund 20 Prozent. Frauen verdienten demnach im Schnitt 22,29 Euro brutto pro Stunde und somit durchschnittlich 5,54 Euro weniger als Männer (27,83 Euro). Rechnet man die Unterschiede in Bezug auf Tätigkeit, Stundenzahl und Qualifikation heraus, erhielten Frauen immer noch sechs Prozent weniger Lohn als Männer (sogenannter bereinigter Gender Pay Gap).

Schon vor Jahren regelte der Gesetzgeber in Deutschland, dass Frauen im gleichen Betrieb für gleiche oder gleichwertige Arbeit das Gleiche verdienen sollen wie Männer. Oft wissen Frauen aber gar nicht, ob der Kollege mit vergleichbarer Qualifikation und Arbeitsleistung mehr verdient. Zum einen sind nach dem Entgelttransparenzgesetz Arbeitgeber erst ab einer Betriebsgröße von 200 Beschäftigten dazu verpflichtet, darüber eine Auskunft zu geben - das betrifft etwa ein Drittel aller Arbeitnehmerinnen in Deutschland.

Eine blonde Frau zieht Geldscheine aus einem Portemonnaie

Zum anderen müssten Frauen danach eben erst einmal fragen. Sandra Meier zum Beispiel erfuhr nach eigenen Angaben nur per Zufall, dass ein Kollege in exakt gleicher Position mehr verdient als sie. Sie habe zunächst nichts gesagt, denn in ihrem Unternehmen seien gerade Stellen abgebaut worden. "Ich wollte kein Fass aufmachen", erzählt sie.

Als sie doch nachfragte, hieß es vom Unternehmen, diese Ungleichheit dürfe es nicht geben. Trotzdem tat sich erst mal nichts, wie Meier berichtet. Sie sprach noch mal vor, argumentierte mit den gesetzlichen Regelungen zur Entgeltgleichheit und hatte am Ende Erfolg. "Aber das kostet immens viel Mut, das zu machen und dranzubleiben", findet Meier.

Viele trauen sich einfach nicht

Eine Abfrage bei Deutschlands größter Privatbank, der Deutschen Bank, zeigt in dieselbe Richtung. Dort haben von über 35.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Deutschland zuletzt gerade einmal 44 nach dem Durchschnittsverdienst beim anderen Geschlecht gefragt, wie die Bank dem hr mitteilte. 

Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge haben hierzulande 45 Prozent der Frauen noch nie eine Lohnsteigerung von ihrem Arbeitgeber gefordert. Viele (29 Prozent) gaben demnach an, sich schlicht und einfach nicht zu trauen. Auch bei der Bitte um eine Beförderung fühlen sich nur wenige Frauen in Deutschland (23 Prozent) wohl.  

Etliche strukturelle Nachteile

Die Ungleichheit habe dabei längst nicht nur mit dem Verhandlungsgeschick der betroffenen Frauen zu tun, berichtet Anne Connelly vom bundesweiten Netzwerk Fondsfrauen: Oft verdienten Männer schon zum Einstieg mehr als Frauen und erzielten bei späteren Verhandlungen höhere Gehaltssprünge. "Diesen Vorsprung der Männer holen Frauen meist nicht mehr auf", sagt Connelly.

Das hat nach Erkenntnissen von Connelly strukturelle Gründe. Es sei grundsätzlich schwer, einen Arbeitgeber zu finden, der wirklich fair bezahle, sagt sie.  

Das zeigen auch Zahlen des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (Iwak) an der Frankfurter Goethe-Universität. Demnach entlohnen viele hessische Banken und Finanzdienstleister Frauen schlechter als Männer. Die Differenz lag 2021 branchenweit bei rund 17 Prozent. Immerhin sei dies schon besser als zehn Jahre zuvor, als sie bei 21 Prozent gelegen habe, sagt Iwak-Leiterin Christa Larsen. 

Langlebige Rollenbilder

Den Gehaltsunterschied erklärt Larsen nicht nur dadurch, dass Frauen ihre Karrieren häufiger für Kindererziehung und Pflege von Angehörigen unterbrächen und bei Verhandlungen oft schlechter gestellt seien. Darüber hinaus hätten sie geringere Aufstiegschancen: "Wir haben das Phänomen der gläsernen Decke. Wenn es um Führungspositionen geht, werden eher Männer gewählt als Frauen." Larsen sieht hier langlebige Rollenbilder am Wirken. 

Und diese traditionellen Strukturen - Männer machen Karriere, Frauen kümmern sich um die Familie - scheinen im ländlichen Raum noch mal deutlich schwerer aufzubrechen. Iwak-Leiterin Christa Larsen hat mit ihrem Team den hessischen Lohnatlas entwickelt hat. Dieser bildet die Unterschiede bei der Entlohnung in den hessischen Regionen ab. 

Der Gender Pay Gap betrug 2022 demnach in Frankfurt 4,4 Prozent, in Kreisen in der Nähe zu urbanen Zentren wie Frankfurt oder Kassel 7 bis 14 Prozent und im ländlich geprägten Kreis Hersfeld-Rotenburg 18,4 Prozent. Die Werte sind nur bedingt mit denen des Statistischen Landesamts vergleichbar, weil das Iwak zur Berechnung einen anderen Zahlensatz zugrunde legt.

Eine Papiertüte mit der Aufschrift "Equal Pay Day" steht unter einem Bürostuhl

Carola Biaesch, die Geschäftsführerin des Landfrauenverbands Hessen, begründet die weiter klaffende Lohnlücke auf dem Land vor allem mit dort stärker ausgeprägten traditionellen Rollenbildern: "Wenn die Sorgearbeit noch zum größten Teil Frauensache ist, stehen Frauen dem Arbeitsmarkt nicht so zur Verfügung, wie sie das könnten."

Vogelsberger Holzbauunternehmen will gegensteuern

Auch Christa Larsen von der Frankfurter Goethe-Uni weist darauf hin, dass viele Frauen auf dem Land oft gar nicht oder in Teilzeit oder sogar im Niedriglohnsektor beschäftigt seien. Das liege auch an unflexiblen Arbeitszeitmodellen, einem weiteren strukturellen Problem.  

An diesem Punkt setzt Katrin Schmidt-Wagner in ihrem Betrieb an. Die Geschäftsführerin des Vogelsberger Holzbauunternehmens Schmidt Hausbau aus Lauterbach versucht, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so viel Flexibilität wie möglich zu geben.

Die Bürokräfte könnten im Homeoffice arbeiten, um so die Zeit für die Anfahrt in den Betrieb zu sparen und Kinder besser versorgen zu können, berichtet Schmidt-Wagner. Auch die ausschließlich männlichen Mitarbeiter in der Produktion könnten früher anfangen und gehen. "So können sie zum Beispiel die Kinder aus der Kita oder Nachmittagsbetreuung abholen", sagt Schmidt-Wagner. Sie wolle mithelfen, traditionelle Rollenverteilungen zu durchbrechen und einen Beitrag zu mehr Gleichberechtigung leisten.  

Abschied der Babyboomer als Chance

Dazu beitragen könnte auch die Demografie in Deutschland. Zumindest zeigt sich Iwak-Leiterin Christa Larsen optimistisch, was die Zukunft angeht: "Wir erwarten, dass sich die Lage in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den Betrieben drehen wird. Denn die Babyboomer, die derzeit in den Führungspositionen sitzen, werden in den nächsten Jahren ausscheiden." Das eröffne Frauen bessere Chancen, um solche Stellen zu besetzen. Die Entgeltlücke werde sich sukzessive weiter schließen.

Dazu beitragen dürfte auch ein verändertes Bewusstsein bei den Frauen selbst: Während bei älteren Arbeitnehmerinnen nur 31 Prozent einen Gender Pay Gap wahrnehmen, ist es nach Erkenntnissen der Jobvermittlung Indeed bei Frauen im Alter von 25 bis 34 Jahren fast die Hälfte (49 Prozent). "Wir beobachten eine Generation junger Frauen, die mit dem Bewusstsein einer geschlechterungerechten Bezahlung aufgewachsen ist", sagt Ute Neher, Arbeitsmarktexpertin bei Indeed in.

Um den Gender Pay Gap zu schließen, müssten Unternehmen und Politik für strukturelle Veränderungen sorgen. "Wir brauchen mehr Transparenz bei Gehältern und eine konsequente Umsetzung von Gesetzen zur Entgeltgleichheit", sagt Neher. "Zum anderen liegt es an jeder einzelnen Frau, sich für eine gerechte Bezahlung einzusetzen."

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