Möbel aus Pilzen

Pilze sind Multitalente! Ihre fadenförmigen Wurzeln wachsen schnell und sind auch ein interessanter Rohstoff für den Möbelbau. An der Uni Kassel wird dazu geforscht - und es werden Wände für den Innenausbau hergestellt.

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Pilze als Baustoff?

hs 15.06.2023
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Eine Petrischale mit einer feinen Schicht am Boden, die ein bisschen wie Schimmel aussieht: Produktdesignerin Nadja Nolte zieht mit einem Skalpell ein Gittermuster in den weißen Belag und löst ihn ab. Es ist ein Pilz - oder exakter - ein Reishi-Pilz, auch Ganoderma. Er ernährt sich von Holz.

Geforscht wird mit Myzel, dem schnell wachsenden Wurzelwerk von Pilzen. Nolte füllt die Sporen in eine Tüte mit Hanfschäben, einem Abfallprodukt, das bei hanfverarbeitenden landwirtschaftlichen Firmen anfällt. In der Tüte werden sie sich weiter ausbreiten, später mit einem Netz aus Holz verstärkt und in ein Holzprofil eingespannt. Dort wird der Pilz wachsen - und zu einer Wand werden. 

Ganz ohne Holznetz kommt das Myzel nicht aus, denn ohne Unterstützung ist es recht instabil und als Baumaterial ungeeignet. Deshalb wird es von dem Holznetz gestützt und versteift. Das Prinzip ist ähnlich wie bei Stahlbeton, nur nachwachsend.

Baum wächst langsam, Pilzsporen schnell

Doch was sind die Vorteile eines Pilzes gegenüber dem üblichen Baustoff Holz? Ein Baum brauche 30 bis 70 Jahre, bis er für den Möbel- oder Innenausbau verwendet werden könne, erklärt Nolte. Anders sei das bei Pilzen. Deren Wachstum ginge wesentlich schneller. Nach drei bis vier Wochen hat das Pilzmyzel das Substrat komplett durchwachsen und bindet die einzelnen Partikel zu einem festen Material zusammen - wie ein wachsender Klebstoff.

Das Fachgebiet Experimentelles und Digitales Entwerfen und Konstruieren (EDEK) der Uni Kassel, das Ingenieurbüro ARUP
und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) suchen nun gemeinsam nach passenden Produktionsprozessen für Möbel und Wände aus den fadenförmigen Pilzzellen - mit beeindruckenden Ergebnissen.  

Möbel aus Pilzen

Myzel kann Kunststoff ablösen

Das Team hat in den vergangenen zwei Jahren einen Verbundstoff aus Myzel und Holz entwickelt, dazu einen automatisierten Produktionsprozess an den Start gebracht. So könnten künftig Trennwände für Büros entstehen, die Stellwände aus Kunststoff ablösen könnten.

Nach Pilz sieht das fertige Ergebnis nicht mehr aus - soll es auch nicht. Dem Forschungsteam gehe es vor allem um die strukturellen Eigenschaften von Myzel, erklärt EDEK-Fachgebietsleiter Philipp Eversmann. Neben diesen wolle man auch die akustischen Eigenschaften der Pilzwände im Projekt sinnvoll nutzen.

Nur Natur, kein Kleber

Der komplette Produktionsprozess und die dazugehörige Simulationssoftware wurden eigens in Kassel entwickelt. Entwickler Andrea Rossi ist vom neuen Baustoff überzeugt - und von der Idee, etwas aus der Natur zu nehmen und es als Material in der Architektur zu verwenden.

Materialien wie die Myzelwände könnten ein Schritt in eine nachhaltigere Baubranche sein. Man könne damit Projekte umsetzen, "ohne all den Schaden anzurichten, den wir normalerweise beim Bauen anrichten", glaubt Rossi. Sogar Kleber braucht der Pilz nicht, um stabil zu sein.

Möbel aus Pilzen

Enormes Potenzial für den Innenausbau

Die fertige Wand gleicht keinen herkömmlichen Materialien. Die Oberfläche ist rau, hat eine deutlich sichtbare Struktur und zeigt Farben von beige bis braun in allen Schattierungen.

EDEK-Leiter Eversmann sieht in den Forschungs- und Produktionsergebnissen ein enormes Potenzial für den Innenausbau, auch in anderen Farben. Man könne das Material beliebig einfärben, erklärt er, es sähe dann aus wie eine klassische Wand.

Möbel aus Pilzen

Wenn es nach den Forscherinnen und Forschern geht, gehören Trennwände aus Kunststoff bald der Vergangenheit an. Aber auch wenn die Wände schon recht fertig aussehen, betreiben sie an der Uni Kassel immer noch Grundlagenforschung.

Bis die Pilz-Wände wirklich zum Verkauf stehen, wird es noch ein bisschen dauern. Aber irgendwann wird es sie geben - und dann haben sie entscheidende Vorteile gegenüber anderen Baustoffen: Sie sind schnell nachwachsend, umweltverträglich, günstig - und sehen auch noch gut aus.

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