Arbeiten, nur um Geld zu verdienen - darum geht es vielen jungen Menschen laut einer Studie nicht mehr. Vielmehr sollte der Job zum eigenen Leben passen. Das stellt auch Unternehmen in Hessen vor Herausforderungen.

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Lieber arbeitslos als unglücklich angestellt?

hessenschau vom 04.07.2022
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Geld verdienen ist nicht der wichtigste Faktor, wenn es um die Arbeit geht. So sieht das zumindest Christina Hock aus Frankfurt. Sie studiert im sechsten Semester Soziale Arbeit an der University of Applied Sciences. Ihr zukünftiger Job sollte zu ihren Idealen passen, sagt sie.

"Mir ist es zum Beispiel sehr wichtig, dass mein Arbeitgeber Themen wie Diversität und Inklusion vorantreibt", sagt die 22-Jährige. Außerdem wolle sie in einem Job Erfüllung finden. Auf die Frage, ob sie lieber arbeitslos wäre als unglücklich im Job, lautet ihre Antwort: "Definitiv."

Glücklich im Job zu sein, hat auch für die 20-jährige Public-Administration-Studentin Johanna einen hohen Stellenwert: "Warum sollte ich meine Arbeitszeit mit einer Tätigkeit verbringen, die mir keinen Spaß macht?" Wenn dies der Fall sei, würde auch sie sich wohl nach anderen Arbeitgebern umsehen, sagt sie.

Andere Anforderungen, andere Prioritäten

Mit dieser Einstellung seien die Studierenden nicht allein, sagt Christoph Kahlenberg vom Personaldienstleister Randstad in Frankfurt. Eine Studie des Unternehmens, in der weltweit Arbeitnehmer im Alter von 18 bis 65 Jahren befragt wurden, habe gezeigt, dass sich die Anforderungen junger Menschen an einen Job verändert hätten.

Besonders für Unter-35-Jährige spielten zum Beispiel die Werte eines Unternehmens eine große Rolle bei der Auswahl eines Arbeitgebers, sagt Kahlenberg. Spätestens seit der Pandemie sei außerdem das Thema Flexibilität wichtig.

Neben dem Job soll ein glückliches Leben möglich sein

Während es bei Angehörigen älterer Generationen früher meist darum ging, überhaupt eine Arbeit zu bekommen, sei für Jüngere heute ein entscheidender Faktor, dass die Arbeit zu den eigenen Lebensumständen passt, um letztlich auch ein glückliches Leben führen zu können, berichtet der Randstad-Manager.

"40 Prozent der 18- bis 24-Jährigen sagen, dass sie lieber arbeitslos wären als unglücklich in ihrem Job" - eine bemerkenswerte Zahl, findet Kahlenberg. Dabei sei es aber nicht so, dass jungen Menschen die Arbeit nicht wichtig sei. Deutlich mehr als die Hälfte der Unter-35-Jährigen, die für die Studie befragt wurden, hätten gesagt, dass ihnen die Arbeit wichtig sei. Nur sollte der Job besser zu den eigenen Vorstellungen passen, sagt Kahlenberg.

"Unternehmen müssen mehr liefern als hohe Gagen und Gratis-Kaffee"

Ein relevanter Punkt sei auch die Einsicht, dass Karrieremachen längst nicht mehr ausschließlich bedeute, viel und hart zu arbeiten, sagt der Recruiting-Experte Marcus Reif aus Flörsheim (Main-Taunus). Möchte man junge Menschen locken, brauche es mehr als hohe Gehälter und Gratis-Kaffee. Das merkten derzeit auch Unternehmen in Hessen, sagt der Personaler.

"Was sind Karriereoptionen? Wie kann ich Mitarbeiter weiterentwickeln? Wie agieren die Führungskräfte?" - mit diesen Fragen müssten sich Unternehmen zunehmend auseinandersetzen, sagt Reif. Tun sie dies nicht, würden Talente abwandern. Denn in Zeiten des demografischen Wandels mit mehr alten als jungen Menschen und in Zeiten des Fachkräftemangels hätten gut ausgebildete Leute längst die Auswahl, wo sie arbeiten möchten.

Junge Leute sitzen am Tisch und arbeiten im Team zusammen

Durchschnittsalter bei Emma Sleep liegt bei 28 Jahren

Die Herausforderung, junge Nachwuchstalente zu finden, kennt auch Dennis Schmoltzi. Er ist Gründer von Emma Sleep in Frankfurt. Das junge Unternehmen vertreibt Matratzen über das Internet.

Innerhalb der vergangenen zwei Jahre hat sich die Mitarbeiterzahl bei Emma Sleep nach Schmoltzis Angaben fast verdoppelt, auf 900 Menschen aus rund 75 Nationen. Deren Durchschnittsalter liege bei 28 Jahren. So viele Menschen in kurzer Zeit zu rekrutieren, sei auch deshalb möglich gewesen, weil man im Ausland Standorte aufgebaut und dort rekrutiert habe, räumt Schmoltzi ein.

Frankfurter Firma setzt auf flache Hierarchien

Dass aber vorrangig junge Menschen bei Emma Sleep arbeiten, erklärt sich der 35 Jahre alte Firmengründer so: "Bei uns können sich Mitarbeiter schnell entwickeln und auch selbst Einfluss nehmen." Es gebe weder Chefs noch Abteilungsleiter. Auch Mitarbeiter, die frisch von der Uni kommen, könnten schon eigene Projekte und somit Verantwortung übernehmen.

Schmoltzi beobachtet, dass es jungen Bewerbern heute wichtig sei, in der Firma etwas bewirken zu können. Deshalb lege er großen Wert auf Eigenverantwortung. Obwohl das Matratzenunternehmen weniger mit Punkten wie beispielsweise flexiblen Arbeitszeiten wirbt, scheint das Konzept aufzugehen.

Recruiting-Experte: "Patentrezept gibt es nicht"

Ein Patentrezept, um junge Talente zu rekrutieren, gebe es nicht, sagt Recruiting-Experte Reif. Er betont aber, dass ein zeitgemäßes Arbeitsmodell mit Werten, Flexibilität und Eigenverantwortung zu tun habe und dass die Arbeit im Einklang mit persönlichen Interessen und Verpflichtungen der Mitarbeiter stehen müsse.

Nur des Geldes wegen zu arbeiten, sei für viele junge Leute längst passé, beobachtet auch Reif. An den Wünschen und Vorstellungen der Bewerberinnen und Bewerber werden die Arbeitgeber seiner Überzeugung nach deshalb kaum vorbeikommen.

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Ihre Kommentare Würden Sie Ihren Job kündigen, weil er nicht mehr zu Ihnen passt? Oder haben Sie das schon getan?

38 Kommentare

  • Ich hab mein Job vor halbem Jahr gekündigt. Es hat so gut getan. Wenn die Arbeitgeber die Gesundheit der Mitarbeiter ignorieren und Homeoffice für ein Bürojob nicht möglich ist.will ich einfach nicht mehr mitspielen!

    Bitte zögert euch nicht! Die Welt ist so schön, warum bleibt man bei einem unglücklichen Job!

  • Ich bin verbeamtet und froh dass ich diesen sicheren Job habe!
    Spass machen tut er nicht (mehr) , sinnvoll ist er auch schon lange nicht mehr...
    Starre Regeln, ausgeprägtes Hierarchiedenken, wenig Mut, Entscheidungen zu treffen, wichtige Themen werden nicht gelöst sondern ausgesessen. Eigeninitiative wird nicht belohnt - im Gegenteil.
    Manche Kollegen sollten spitze Hüte tragen, um dem Vorgesetzten leichter in den A... kriechen zu können.

    Da ich in ca 11Jahren in Rente gehe habe ich mich für die innere Kündigung entschieden.
    Meine letzten Jahre verbringe als Musterexemplar des typischen Deutschen Beamten: wer nix macht, macht keine Fehler und wer keine Fehler macht, wird belohnt.

    Eigentlich ärgerlich, dass ich diese Erkenntnis so spät erlangt habe. Ich kann daher junge Menschen verstehen, die sich dem sich immer schneller drehenden Hamsterrad verweigern.

    Da es immer weniger Nachwuchs gibt, wird es für meinen Jahrgang wohl auch keine Altersteilzeitregelungen mehr geben...

  • Wir hatten kürzlich bei uns in der Schule wieder die Projektphase Berufsorientierung. Da werden auch Praktika absolviert und es gibt Gesprächsgruppen und auch Expertenvorträge aus Bildung und beruflicher Praxis.

    Auffällig: Fast alle schließen eine Berufsausbildung schon vorab kategorisch aus. Nur ein gewisser Anteil strebt ein Studium an. Ein sehr großer Anteil entfällt auf Personen, die eine Karriere als Webvideo-Producer*in, Influencer*in, Content-Creator*in starten möchten. Einige verdienen bereits heute auf diversen Plattformen relativ viel Geld. TikTok, Insta Youtube und Twitch können beispielhaft genannt werden. Begründen lassen sich diese Ziele wohl mit einer Mischung aus persönlicher Entfaltung, Autonomie, kein Chef der dir was sagt, keine festen Arbeitszeiten etc. Aber Hauptargument scheinen die guten Reichtumsaussichten zu sein, die man so bei klassischen Berufstätigkeiten egal ob praktisch oder akademisch nicht hat.

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