Ein Riss verläuft zwischen zwei Fenstern in einer Hauswand.

Ein Albtraum für Hausbesitzer: Mitten in der Außenwand klafft plötzlich ein Spalt. Bei der Suche nach Ursachen im stark betroffenen Offenbach gibt es durchaus verschiedene Meinungen. Fest steht nur: Das Klima spielt eine Rolle.

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Setzrisse beschäftigen Hausbesitzer in Offenbach

Ein Mann steht vor einer Baustelle im Innenhof eines Hauses.
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Bröckelnder Putz, abfallende Fassadenteile und handbreite Risse in der Hauswand: Solche Anblicke gehören für Rüdiger Werner seit Jahren zum Alltag. Er besitzt zwei Mehrfamilienhäuser im Offenbacher Mathildenviertel, das seit 2018 Schlagzeilen wegen sogenannter Setzrisse macht. Seit den besonders trockenen Sommern 2018 und 2019 sind hier viele Häuser beschädigt.

"Die Mieter sind besorgt", erzählt Werner. "Man bekommt Anrufe mit der Frage: 'Fällt mir jetzt die Decke auf den Kopf?'" Immer wieder lässt der Hausbesitzer die Risse reparieren. Doch entweder öffnen sie sich wieder oder es entstehen neue Risse an anderen Stellen. 2020 sei an einem der Gebäude sogar ein kiloschweres Stück der Fassade abgefallen.

Über die konkreten Ursachen für die Risse schwelt seit Jahren ein Streit zwischen den Hauseigentümern und der Stadt Offenbach. Einig sind sich aber alle Beteiligten, dass der Klimawandel und zunehmende Trockenheit die Schäden begünstigen.

Tonhaltige Böden reagieren empfindlich auf Trockenheit

Seit 2018 komme es im Rhein-Main-Gebiet häufiger zu Setzrissen in Häusern, beobachtet Olivier Semar, Geotechniker und Geschäftsführer eines Ingenieurbüros in Babenhausen (Darmstadt-Dieburg). In Offenbach habe der Boden einen hohen Tongehalt. Und das sei besonders problematisch: "Ton neigt dazu, bei Wasseraufnahme an Volumen zuzunehmen - und wenn man ihm Wasser entzieht, verliert er Volumen", erklärt Semar. "Es kann zu Schäden an Gebäuden kommen, die auf Ton gegründet sind, wenn durch die sehr trockenen Sommer der Wassergehalt im Ton drastisch zurückgegangen ist."

Dafür sieht Semar auch den Klimawandel als Ursache. Längere Trockenphasen im Wechsel mit kurzen, heftigen Regenfällen hätten zugenommen, was dazu führe, dass die Wasserreservoirs in den Städten sich nicht genug auffüllen könnten. Dadurch komme es häufiger dazu, dass Bäume mit ihren Wurzeln das Wasser aus tieferen Bodenschichten entziehen, auf denen Häuser gebaut sind. Das wiederum könne zu Setzrissen führen.

Ein Riss verläuft zwischen zwei Fenstern in einer Hauswand.

Hausbesitzer fordern Fällung der Bäume

Im Fall der Risse im Offenbacher Mathildenviertel ist sich Semar sicher: "Das hat in bestimmten Straßenzügen direkt mit dem Bewuchs an der Straße zu tun. Man kann die Verformung des Hauses den Bäumen zuordnen."

Deshalb fordern Hausbesitzer wie Rüdiger Werner von der Stadt Offenbach, die tief wurzelnden Säuleneichen im Mathildenviertel zu fällen und durch andere Bäume zu ersetzen. Die Stadt lehnt das allerdings ab.

Eine Wohnstraße, in der Autos parken.

Stadt Offenbach vermutet verschiedene Ursachen

Die Baumbepflanzung im Mathildenviertel spielt aus Sicht der Stadt Offenbach keine große Rolle für die Entstehung von Rissen in den dortigen Häusern. Dazu hatte sie ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. "Dabei wurde aufgeführt, dass Bäume nur bis zu einem gewissen Grad Wasser aus Tonschichten lösen können und daher andere Ursachen zu den dort nachgewiesenen Baugrundsetzungen geführt haben müssen", heißt es auf hr-Anfrage.

Im Norden von Offenbach gebe es ähnliche Gebäude aus der Zeit der Jahrhundertwende, bei denen trotz hoher Straßenbäume in der Umgebung keine Setzungsrisse festgestellt wurden. "Anders als im Mathildenviertel liegen hier Sande und Kiese im Untergrund, welche weniger empfindlich auf die Änderungen des Wasserhaushaltes reagieren", argumentiert die Stadt. Sie sieht also hauptsächlich die anfälligen Tonböden als Ursache für die Schäden an den Häusern.

Einzelne Regionen besonders betroffen

Das Phänomen der Setzungsrisse hat in den vergangenen Jahren zugenommen, wie auch das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) bestätigt. Das Amt ist dafür zuständig, sogenannte Georisiken zu überwachen, zu denen auch Setzungen im Boden gehören.

"Wir hatten 2018 und 2019 sogenannte Trockenjahre mit heißen Sommern und wenig Niederschlägen", berichtet die zuständige Geowissenschaftlerin Christina Heinrichs. "Das führt dazu, dass Bodenschichten oberflächlich austrocknen. Durch den Klimawandel kann es zu mehr Setzungsrissen kommen." Anfällig für Setzungen im Boden sind laut Heinrichs vor allem das Rhein-Main-Gebiet, die Niederhessische Senke (zwischen Kassel und Schwalmstadt) sowie der Oberrheingraben, zu dem das Hessische Ried in Südhessen gehört.

Setzungen kann man nicht verhindern

Setzungen könne man nicht verhindern, sagt Heinrichs. Denn die anfälligen Böden könnten sich zum Teil dutzende Meter in die Tiefe erstrecken. "Man kann also nicht einfach den Boden abtragen, um die Gefährdung loszuwerden: Dafür ist das einfach zu viel Material."

Das HLNUG empfiehlt für Neubauprojekte, schon früh auf die Bodenbeschaffenheit zu achten. Im ersten Schritt sei ein Bodengutachten hilfreich, um mögliche Gefahren zu identifizieren. Falls der Boden setzungsempfindlich ist, gibt es laut Christina Heinrichs verschiedene Sicherungsmöglichkeiten: "Man kann zum Beispiel eine tragende Bodenplatte bauen oder eine Pfahlgründung."

Bessere Anpassung an den Klimawandel

Geotechnik-Experte Olivier Semar hält es für nötig, dass Fachleute verschiedener Disziplinen gemeinsam Konzepte entwickeln, um die Böden in Städten für den Klimawandel fit zu machen.

Es könne keine Lösung sein, Bäume aus Wohnstraßen zu entfernen - trotz des Problems, dass sie mit ihren Wurzeln dem Boden unter den Häusern das Wasser entziehen könnten. "Wir wollen alle nicht, dass die Bäume verschwinden. Dann würde das Problem in den Städten sich verschärfen, weil die Bäume einen sehr positiven Einfluss auf das Mikroklima haben."

Semar wirbt stattdessen dafür, in Städten stärker auf Pflanzen mit weniger tiefen Wurzeln zu setzen, die mit den geänderten klimatischen Bedingungen besser leben können. Gleichzeitig sei es nötig, Regenwasser besser zu speichern - eine Aufgabe für die Stadtplanung und die Wasserwirtschaft.

Offenbach will zur "Schwammstadt" werden

Die Stadt Offenbach etwa konzentriert sich nach eigenen Angaben darauf, Störungen des Wasserhaushalts entgegenzuwirken, die durch den Klimawandel hervorgerufen werden.

Man fördere zum Beispiel Entsiegelungen - also Öffnungen des Bodens - und plane, neue Standards für den Straßenbau einzuführen, "die bei der Grundwasserneubildung, Schonung der Trinkwasserressourcen und Bewässerung von Stadtbäumen helfen". Offenbach gehört damit zu mehreren Städten in Hessen, die sogenannte Schwammstädte werden möchten.

Hauseigentümer fühlt sich allein gelassen

Hausbesitzer Rüdiger Werner fühlt sich dennoch mit seinem Problem allein gelassen. Er wünscht sich, dass die Stadt Offenbach zumindest probeweise einen der tief wurzelnden Bäume entfernt, um zu testen, ob sich das Problem der Setzrisse dadurch bessert.

Werner hat nach eigenen Angaben bereits mehrere Sanierungsarbeiten für fünfstellige Beträge veranlasst. "Die Situation ist sehr frustrierend", sagt er. "Irgendwann sind die Mittel auch nicht mehr da." Werner fürchtet, solange die Hauptursache nicht beseitigt werde, würden die Risse immer wieder kommen.

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