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"Omas gegen rechts" verzeichnen Zulauf

Fulda Demo III. Weg

Die Proteste gegen Rechtsextremismus reißen nicht ab. Am Wochenende waren wieder 25.000 Menschen in Hessen auf der Straße. Oft vorne mit dabei: die Omas gegen rechts. Was die Ü50-Bewegung antreibt und warum sie gerade einen massiven Zulauf vermeldet.

Im Trubel der Demozüge sind sie gut zu erkennen: Auf ihren weißen Warnwesten und Regenschirmen steht in Großbuchstaben: "Omas gegen rechts." Auch bei den Demokratie-Demos der vergangenen Wochen in Hessen war die Gruppe oft vorne dabei - und spürt derzeit ein wachsendes Interesse an ihrer Arbeit.

"Das ist ein großer Motivations- und Kräftebooster für uns", sagt Uschi Gräbener aus Hanau. Gräbener ist 70, Landschaftsgärtnerin und seit drei Jahren engagierte "Oma gegen rechts". Mit der Hanauer Ortsgruppe geht sie auf Demos, außerdem sitzt sie im Vorstand des bundesweiten Vereins Omas gegen rechts.

Seit einigen Wochen werde das Mailpostfach des Vereins immer voller, sagt Gräbener - denn immer mehr Mitgliedsanträge flattern herein.

Verein: vierfache Mitgliederzahl binnen vier Wochen

Fünfzehn bis zwanzig Mitgliedsanträge kämen jeden Tag, berichtet Gräbener. Binnen vier Wochen habe sich die Mitgliederzahl des bundesweiten Vereins vervierfacht.

Immer mehr Menschen wollen sich demnach den Omas gegen rechts anschließen. Die Ursache dafür sieht Gräbener in den Correctiv-Recherchen zum Treffen von Neonazis, AfD-Politikern und Unternehmern - eine Veröffentlichung, die bundesweit Proteste gegen Rechtsextremismus und für Demokratie ausgelöst hatte.

Jetzt freut sich die Großmutter dreier Enkel, dass auch in Hessen "so viele Leute die Gefahr erkannt haben und sagen, sie stehen vom Sofa auf." Der wöchentliche Stammtisch der Hanauer Omas finde immer größeren Zuspruch.

omas gegen rechts hanau

Gießen: größter Zulauf seit Gründung

Den Effekt der Demokratie-Demos spürt auch die Ortsgruppe in Gießen: Dort engagiert sich Gerlinde Bauer bereits seit den Anfängen im Jahr 2018. Ein so großes Interesse wie jetzt habe sie noch nicht gesehen, sagt die 66-Jährige. Es sei der größte Zulauf seit der Gründung der Ortsgruppe.

Als frisch verrentete Wirtschaftsinformatikerin betreut Bauer die Webseite der Gießener "Omas gegen rechts". Täglich kämen derzeit neue Anfragen von Menschen, die sich den Omas anschließen wollten.

Omas gegen rechts, Ortsgruppe Gießen

"Inzwischen melden sich auch Frauen aus Marburg und Wetzlar bei uns", erzählt Bauer. Dort gibt es noch keine eigenen Gruppen. Man denke nun aber darüber nach, sie zu gründen.

"Nach der Recherche ging so ein Ruck durch die Gesellschaft, dass mehr Menschen den Wunsch haben, aktiv zu werden", ist auch Gerlinde Bauers Eindruck.

Recherchen zu AfD befeuern Protest

Protestforscher wie Daniel Mullis vom Peace Research Institut Frankfurt (PRIF) bestätigen dieses Gefühl: "Es sind die größten Demonstrationen in Westdeutschland seit dem Irakkrieg und in Ostdeutschland sind es wahrscheinlich die größten Demonstrationen seit den Wendejahren 1989/90", sagte er kürzlich im Interview mit hessenschau.de.

Mullis spricht von einem massiven "Aufstehen der Zivilgesellschaft", das man "nicht hoch genug bewerten" könne.

Gerlinde Bauer geht seit ihrer Jugend regelmäßig demonstrieren: Anti-Atomkraft-Demos, Nato-Doppelbeschluss, der Abtreibungsparagraph 218. "Viele von uns sind schon lange in der einen oder anderen Form politisch aktiv", sagt sie über die Gießener Omas. Doch auch in dieser Hinsicht ändere sich gerade etwas.

Immer häufiger erlebe sie, dass sich Frauen melden, die in ihrem bisherigen Leben wenig oder noch gar nicht demonstriert haben, sagt Bauer. Das begeistere sie. "Sie wollen vielleicht erstmal Flyer verteilen oder so – und dann erfolgt ein Kompetenzzuwachs." Der eigenen Sorge aktiv Ausdruck zu verleihen – "das hat was von Selbstwirksamkeit", findet Bauer.

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Demo-Rekordjahr 2023 in Frankfurt

Die Lust am Protest allgemein ist in den vergangenen Jahren gewachsen - nicht nur gegen rechts. Das legen auch Zahlen nahe, die die Stadt Frankfurt erhoben hat. Demnach gab es 2023 eine Rekord-Zahl von fast 3.000 angemeldeten Demos, Kundgebungen und Mahnwachen in der Stadt. Das waren laut Ordnungsamt 55 Prozent mehr als vor der Pandemie 2019 und 24 Prozent mehr als 2022.

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Oma-Schutzraum für Protest-Neulinge

Die Omas gegen rechts eigneten sich als eine Art Schutzraum, glaubt Gerlinde Bauer: Gemeinsam organisiert protestieren, statt auf eigene Faust. "Gerade Frauen trauen sich aufgrund ihrer Sozialisation oft nicht, aktiv zu werden", sagt sie.

Der Vorteil der Oma-Protestgruppen sei ihre Zusammensetzung. Das politische Meinungsspektrum sei breit, die Diskussionen dennoch respektvoll und freundlich.

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„Bevor jemand eine Oma öffentlich anmacht, muss viel passieren.“ Gerlinde Bauer, Oma gegen rechts aus Gießen Gerlinde Bauer, Oma gegen rechts aus Gießen
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Alter habe gerade im Aktivismus so einige Vorteile, findet Bauer. Sie hält es zwar für ein Gerücht, dass Rentnerinnen übermäßig viel Zeit hätten und schon deshalb für den Protest prädestiniert wären, aber "uns wird jedenfalls keiner vorwerfen, wir sollen doch erstmal arbeiten gehen", sagt sie lachend - und fügt noch hinzu: "Bevor jemand eine Oma öffentlich anmacht, muss viel passieren."

Auch Uschi Gräbener sieht diese Vorteile der reinen Frauen-Ü50-Gruppe: "Wenn sich Frauen organisieren, entwickelt es eine andere Wucht, als wenn viele Einzelkämpfer unterwegs sind", sagt sie. Unter anderem das habe sie damals selbst überzeugt, sich anzuschließen. "Ich wüsste nicht, dass es eine politische Organisation gibt, die sich für Frauen im fortgeschrittenen Alter engagiert", so Gräbener.

Aktuell eine viele das Gefühl, nicht mehr still sitzen zu wollen: "Wir wollen uns nicht vorwerfen lassen, dass wir untätig waren."

Omas gegen rechts aus Hanau

Und was ist mit Opas?

Wenn sie an einem Infostand der Omas gegen rechts kleine weiße Anstecker mit der Blockschrift "Omas gegen rechts" herausgibt, komme oft die Frage "und was ist mit den Opas?", erzählt Uschi Gräbener.

Deshalb hätten sie inzwischen auch Anstecker mit "Opas gegen rechts" drucken lassen. Denn männliche Unterstützer gebe es durchaus, sagt sie. Trotzdem bleiben die Omas gegen rechts in erster Linie ein Frauenbündnis.

Mehr ländlicher Aktivismus als Ziel

Eine Herausforderung sehen beide "Omas" gleichermaßen: Aktivismus habe es in Städten oft leichter, als auf dem Land. Auch viele Ortsgruppen der Omas gegen rechts haben in Hessen ihre Basis in größeren Städten. In Hanau melden sich deshalb Frauen aus Nidderau, Mühlheim, Gelnhausen und Umgebung, wo es keine eigenen Ortsgruppen gibt.

"Auf dem Land ist die soziale Kontrolle ausgeprägter als in der Stadt", sagt Uschi Gräbener. Wer einen Nachbarn mit rechten Ansichten habe, sei in einem kleinen Dorf gefühlt "näher dran" an ihm. Deshalb sei es dort schwieriger, sich politisch zu positionieren, als in der anonymen Großstadt.

"Wir haben uns vorgenommen, die außenliegenden Kommunen mit unseren Aktionen mehr aufzusuchen", sagt Gerlinde Bauer aus Gießen. "Im Moment regt es sich auch auf dem Land – und das muss unterstützt werden."

Erste Oma-Proteste 2017 in Österreich

Die erste "Omas gegen rechts"-Gruppe wurde 2017 in Österreich gegründet. Hintergrund war dort die Wahl von Sebastian Kurz zum Kanzler und die Sorge vor einem Rechtsruck im Land.

Inspiriert davon wurde 2018 auch in Deutschland der Verein Omas gegen rechts und unabhängig davon eine Facebook-Gruppe von Omas gegen rechts ins Leben gerufen - "um unsere Stimme gegen den wachsenden Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus in Deutschland zu erheben", wie es auf der Homepage heißt.

Mittlerweile haben die Omas gegen rechts nach eigener Aussage rund 15.000 Mitglieder, in ihrer bundesweiten Facebook-Gruppe sind es 3.500 Mitglieder. Während sich einige Omas über den Verein organisieren, vernetzen sich andere lose in ihren Ortsgruppen via Social Media. Die Omas gegen rechts sind eine überparteiliche Organisation und finanzieren ihre Aktionen mit Spenden - größtenteils von den eigenen Mitgliedern.

Mit "gegen rechts" meinen sie rechtsradikale Parteien und Organisationen, deren Ziele sie bekämpfen. Neben Demos gegen Rechtsextremismus unterstützen sie aber beispielsweise auch Klimademos und setzen sich, wie sie sagen, allgemein dafür ein, eine lebensfreundliche Zukunft für ihre Enkel zu gestalten.

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