Das Kasseler Museum Fridericianum zum Start der documenta15.

Nach den Antisemitismus-Vorfällen auf der documenta fifteen will sich die Weltkunstschau einen "Code of Conduct" auferlegen. Dieser soll allerdings nicht für die künstlerische Leitung gelten, wie der Aufsichtsrat jetzt erklärt hat.

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documenta – kein Verhaltenskodex für künstlerische Leitung

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In drei Jahren findet die nächste Ausgabe der documenta in Kassel statt: Wenn sich die Stadt dann wieder in die weltweit bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst verwandelt, soll dieses Mal alles ohne einen Eklat ablaufen.

Der Aufsichtsrat der documenta hat dazu am Dienstagabend den Einsatz eines im Vorfeld stark kritisierten Verhaltenskodex beschlossen. Dieser soll für die documenta und das Museum Fridericianum gGmbH als Trägergesellschaft der documenta gelten – nicht allerdings für die künstlerische Leitung der kommenden Weltkunstausstellung. Exakt dieser Punkt hatte im Vorfeld für größere Diskussionen gesorgt.

Kuratoren müssen ihr Konzept öffentlich vorstellen

Die eigens für die Aufarbeitung engagierte Managementberatung Metrum hatte empfohlen, nach dem Antisemitismus-Skandal bei der documenta fifteen in Kassel einen sogenannten Code of Conduct sowohl für die Geschäftsleitung als auch für die Kuratoren aufzulegen. Ziel der Empfehlungen sei die "Etablierung von wirkungsvollen Maßnahmen gegen Antisemitismus und andere Formen gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit bei vollständigem Schutz der Kunstfreiheit".

Bei der nun am Dienstagabend verkündeten Lösung wurde der Kunstfreiheit offenkundig ein großes Gewicht zugerechnet. Die noch zu findende künstlerische Leitung muss sich keinem Verhaltenskodex unterziehen. Als Art Kompromiss wird sie aber verpflichtet, ihr künstlerisches Konzept im Vorfeld der documenta 16 der Öffentlichkeit bei einer Veranstaltung zu präsentieren.

Laut Mitteilung soll die künstlerische Leitung auf dieser Veranstaltung darlegen, "welches Verständnis sie von der Achtung der Menschenwürde hat und wie deren Wahrung auf der von ihr kuratierten Ausstellung sichergestellt werden soll".

Kunstminister spricht von Balanceakt

Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne) teilte als Vorsitzender des Aufsichtsrats mit: Die documenta gehe mit einem "wirksamen Instrumentarium zum Schutz künstlerischer Freiheit und zum Schutz gegen menschenfeindliche Diskriminierung und Antisemitismus" gestärkt in die Zukunft.

Hessens Kunstminister Timon Gremmels (SPD) sagte: "Es ist eine der komplexesten Aufgaben der gegenwärtigen Kulturpolitik, eine praktikable Balance zwischen dem Schutz der Kunstfreiheit und der Wahrung der Menschenwürde zu finden." Er hoffe, dass dies mit der nun erzielten Lösung gelinge.

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"Wir haben einen guten Weg gefunden": Kunstminister Timon Gremmels (SPD) im documenta-Gespräch bei hr-iNFO

Timon Gremmels (SPD), hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur.
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Weiter entschied sich der Aufsichtsrat gegen eine angedachte Verkleinerung des eigenen Gremiums. Die Stadt Kassel und das Land Hessen sollten dadurch weiterhin angemessen vertreten sein. Dem Aufsichtsrat sollen künftig auch zwei Mitglieder des Bundes angehören, hieß es.

Verhaltenskodex als Folge des Abschlussberichts

Die Einführung eines Verhaltenskodexes war eine Empfehlung des kritischen Abschlussberichts zu der vom Antisemitismus-Skandal überschatteten documenta 15 gewesen.

Bei der documenta 15 war im Jahr 2022 zuerst ein offenbar antisemitisches Gemälde verhüllt, später abgebaut und weitere antisemitische Motive entdeckt worden. In der Aufarbeitungsphase trat die Findungskommission für die künstlerische Leitung der nächsten documenta 16 im Jahr 2027 ein Jahr später komplett zurück - erneut wegen Antisemitismus-Vorwürfen.

Initiative sieht Kunstfreiheit in Gefahr

Dagegen hatte sich in Kassel massiver Widerstand geregt: Rund 4.000 Menschen hatten sich an einer Petition mit dem Titel #standwithdocumenta beteiligt, die sich für den Erhalt der im Grundgesetz verankerten Kunstfreiheit bei der documenta einsetzt.

Ihre Sorge: Mit dem neuen Verhaltenskodex könnte die documenta vor der Ausstellung Gesinnungsprüfungen vornehmen, die Ausstellung einschränken und internationale Künstler abschrecken.

Vor knapp einem Monat hatte die neu gegründete Initiative die Petition an Kassels Oberbürgermeister Schoeller und Hessens Kulturminister Gremmels (SPD) übergeben. Prominente Unterzeichner waren der ehemalige hessische Ministerpräsident und Kassels Ex-OB Hans Eichel (SPD) sowie Bertram Hilgen, ein weiterer ehemaliger Kasseler SPD-Oberbürgermeister.   

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