Mädchen zieht eine Grimasse, in der Hand eine Blockflöte

Die künftige schwarz-rote Landesregierung will hessische Kinder bald zum Blockflötenunterricht nötigen. "War was?" meint: Da hast du Töne!

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Blockflötenprojekt der neuen Landesregierung

Viele Kinder  sitzen nebeneinander auf dem Boden und spielen Blockflöte. Vor ihnen liegen Notenblätter.
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Hessen, das Bundesland, in dem immer was los ist. An dieser Stelle wirft unser Kolumnist Stephan Reich mit seiner Glosse "War was?" jeden Freitag einen ganz eigenen Blick auf die Nachricht der Woche. Nehmen Sie diesen Blick bitte auf keinen Fall ernst.

Portrait von Stephan Reich. Daneben steht "Glosse"

Als ich klein war, musste ich Geige lernen, mit der Betonung auf "musste". Ich war nicht gut, ich war nicht fleißig, ich wollte es nicht, und mein Musiklehrer an der Musikschule in Melsungen wollte es noch viel weniger.

Es war eine dauerhafte Frusterfahrung für uns beide, ein Martyrium, und schon damals dachte ich: Was muss der arme Mann nur ertragen?

Ich war ja nur einer von vielen unmotivierten Schülern, und Geige ist eines jener Instrumente - wie ja beispielsweise auch die Blockflöte - die klingen, als würde man eine Kreissäge mit einer anderen Kreissäge bearbeiten, wenn man es nicht beherrscht. Was ich nicht tat.

Mit Fackeln und Mistgabeln gen Wiesbaden?

Ich weiß nicht, was mein ehemaliger Musiklehrer heute macht, vielleicht unterrichtet er noch, vielleicht ist er schon im Ruhestand, mit der Betonung auf Ruhe.

Möglicherweise aber zieht er gerade auch mit Kollegen und Kolleginnen von der Musikschule mit Fackeln und Mistgabeln gen Wiesbaden, blockiert mit einem Traktor irgendeine Straße oder klebt sich vor dem Hessischen Landtag auf den Asphalt. Wer könnte es ihm verdenken?

"Tor zur Welt der Musik öffnen"

Dort nämlich wurde zuletzt der Koalitionsvertrag von CDU und SPD unterzeichnet, der unter anderem ein "Blockflötenprojekt" vorsieht, "bei dem die Grundschülerinnen und Grundschüler eine Blockflöte und die Lehrkräfte passendes Unterrichtsmaterial erhalten."

Die neue Koalition will Hessen also die Flötentöne beibringen. Es werden nun ganz andere Saiten aufgezogen. Du lieber Herr Gesangsverein! Hast du Töne?!

Den Kindern das "Tor zur Welt der Musik öffnen" zu wollen, ist freilich ein löbliches Unterfangen. Ob eine Art Blockflötenzwangsbeglückung dafür aber die richtige Idee ist, wage ich zu bezweifeln.

Quasi-traumatische Blockflötenerfahrungen

Für wahrscheinlicher halte ich, dass dem ein oder anderen Kind die Welt der Musik durch quasi-traumatische Blockflötenerfahrungen für immer verschlossen bleibt.

Und dass die ganze Idee nur eine Ausformung genau jener Leitkultur-Fata-Morgana ist, die von der CDU-Parteispitze so gern beschworen wird, wenn Friedrich Merz mal wieder zu lange unter seinem Weihnachtsbaum saß, "Freude, schöner Götterfunken" flötete und von seinem Deutsch-Sein ganz ergriffen war.

"Eine aus der Zeit gefallene PR-Kampagne"

Wenig überraschend hat das Blockflötenprojekt ein geteiltes Echo hervorgerufen. Hintergedanke gut, konkrete Idee weniger, so ungefähr.

Hinzu kommt, dass nur etwa 25 Prozent der Lehrkräfte, die an hessischen Grundschulen Musik unterrichten, auch darin ausgebildet sind. Bei derlei Zahlen kann man die Anzeige wegen Lärmbelästigung eigentlich schon einmal pro forma einreichen.

Das Projekt habe zwar durchaus Potential, sagte Thilo Hartmann, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Insgesamt handele es sich aber wohl eher um "eine aus der Zeit gefallene PR-Kampagne für eine Regierung, deren kulturelles Verständnis in den 1980er-Jahren stehen geblieben ist."

Böse Zunge könnten behaupten, das sei ganz generell eine gute Beschreibung für weite Teile konservativer Politik.

"Master of Puppets"

Als ich übrigens mit 14 endlich das Geigespielen aufgeben durfte, ging ich fortan zum Gitarrenunterricht. Mit großem Erfolg, es war Liebe auf den ersten Blick, und ich spiele noch heute täglich.

Vielleicht sollte man also lieber die Kinder fragen, was sie gerne machen möchten, anstatt ihnen eine Blockflöte in den Mund zu verpflichten. Mein Gitarrenlehrer fragte mich damals, was ich denn gerne spielen wolle.

Metallica, antwortete ich, und so arbeiteten wir darauf hin, dass ich bald "Master of Puppets", "Fade to Black" und "... And Justice for all" spielen konnte - auf einer schwarzen E-Gitarre und einem bis zum Anschlag aufgedrehten Verstärker. Und ich bin ja kein Politiker, aber wäre das nicht vielleicht eine Idee für den Musikunterricht?

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