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Landkreise im Defizit

Euroscheine und -münzen

Die Haushalte der hessischen Kreise rutschen zunehmend ins Minus. Im Interview erklärt der Geschäftsführer des Landkreistages, warum Schulden machen kein Tabu mehr sein sollte.

Rheingau-Taunus, Offenbach, Fulda: In den vergangenen Wochen schlugen immer mehr hessische Landkreise Alarm. Ihre finanzielle Situation verschlechtert sich 2024 deutlich. Der Kreis Groß-Gerau etwa stellt Veranstaltungen in Frage, andere brauchen ihre Rücklagen aus den vergangenen Jahren auf oder erhöhen die Umlagen, die die Kommunen zu zahlen haben.

Im Interview spricht der Geschäftsführende Direktor des Hessischen Landkreistags, Michael Koch, über die Ursachen der finanziellen Probleme, Lösungsmöglichkeiten und jüngst formulierte Forderungen an die künftige Landesregierung.

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hessenschau.de: Herr Koch, was sind die Hauptgründe für die verschlechterte finanzielle Lage der Kreise?

Michael Koch: Wir haben zwar mehr Geld zur Verfügung, weil unsere Zuwendungen aus dem Kommunalen Finanzausgleich vom Land Hessen gestiegen sind. Gleichzeitig sind die Aufwendungen aber viel stärker gestiegen. Die bisherigen Aufgaben werden also immer teurer. Und wir haben neue, zusätzliche Aufgaben.

hessenschau.de: Welche zum Beispiel?

Koch: Was uns besonders drückt, das ist kein Geheimnis, ist die Unterbringung von Geflüchteten. Außerdem belasten uns oftmals die Kosten für Krankenhäuser, die in kommunaler Trägerschaft sind, und insgesamt die Sozialleistungen. Schauen Sie sich die Kostensteigerungen beim Landeswohlfahrsverband an, den wir mitfinanzieren und der für die Kommunen vielfältige Leistungen erbringt, aber auch andere Leistungen der Kreisverwaltungen.

Zudem wurde sich auf Bundesebene ein Deutschlandticket ausgedacht, für den ÖPNV sind wiederum die Landkreise zuständig. Wenn ich damit aber durch ganz Deutschland fahren kann, dann ist der eigentliche Zweck des Nahverkehrs nicht mehr primär erfüllt. Wenn das zu Einnahmeausfällen bei den Verkehrsverbünden führt und dafür dann die Kreise oder die Kommunen finanziell "mitverhaftet" werden, dann ist das nicht in Ordnung.

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Zu wenig Geld von Bund und Land – Krise im Rheingau-Taunus-Kreis

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hessenschau.de: Einige Kreise erhöhen wegen der Defizite die Umlagen, die sie von den Kommunen bekommen. Was bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger?

Koch: Die Landkreise haben keine eigenen Steuereinnahmen. Sie leben also von den Umlagen, die sie von den kreisangehörigen Kommunen bekommen, und von den Zuweisungen des Landes. Wenn das beides nicht mehr passt, dann muss man schauen, dass man die Umlagen erhöht, also die Kreisumlage oder die Schulumlage. In der Folge kann es dazu führen, dass kreisangehörige Kommunen die Gewerbe- oder die Grundsteuer erhöhen müssen, wenn sie mit ihren Einnahmen nicht mehr auskommen. Das trifft dann die Bürger unmittelbar.

hessenschau.de: Was fordern Sie von der neuen hessischen Landesregierung?

Koch: Zunächst einmal fordern wir von der neuen Landesregierung eine auskömmliche Finanzierung und die Einhaltung des sogenannten Konnexitätsprinzips. Dem liegt der Grundsatz "Wer bestellt, bezahlt" zugrunde. Darin sind wir uns mit den anderen kommunalen Spitzenverbänden auch sehr einig.

hessenschau.de: Die Steuereinnahmen werden in den kommenden Jahren wohl sinken. Woher soll das Geld kommen?

Koch: Uns ist sehr bewusst, dass die öffentlichen Mittel nicht unbegrenzt sind. Wir wissen auch, dass die finanziellen Aussichten im Bund und in den Ländern schwieriger werden. Deshalb haben wir zusammen mit anderen Spitzenverbänden, darunter die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkerschaft und die Sparkassen, gesagt: Lasst uns eine Entlastungsallianz prüfen. Lasst uns schauen, welche Positionen nicht zwingend wären. Lasst uns über Standards sprechen. Wir wissen: Das ist nicht populär, für bestimmte Standards gibt es gute Gründe.

hessenschau.de: Über welche Standards wollen Sie zum Beispiel sprechen?

Koch: Auch in den Kreisen und den Kommunen ist der Fachkräftemangel absolut spürbar. Dementsprechend muss man zum Beispiel die Frage stellen: Bekommt man überhaupt die Fachleute, die gesetzlich vorgeschrieben sind? Wofür und wie weit braucht man sie? Dies gilt nicht nur für die Kernverwaltung in Kreisen, sondern auch für Kitas und Schulen.

In Deutschland soll zum Beispiel der Ganztag ausgerollt werden. Hier ist die Frage: Wo betreut man die Kinder im Ganztag? In Schulen? Dafür müssten die Landkreise als Schulträger neue Räumlichkeiten schaffen, also investieren.

Und wir müssen uns die Frage stellen: Wie betreiben wir den Ganztag? Wenn nicht mehr Lehrkräfte für die Betreuung zur Verfügung stehen, muss man sich überlegen, wer das tun kann und wie er qualifiziert sein muss. Muss das eine Lehrkraft machen oder kann das eine Person mit einer Ausbildung zum Erzieher sein, wie es teilweise in den neuen Bundesländern gemacht wird?

hessenschau.de: Das dürfte in der Tat nicht populär sein.

Koch: Das Problem ist, dass es immer irgendwen trifft. Wir haben als Kreise aber nur drei Möglichkeiten: Das Land gibt uns mehr Geld oder wir holen uns über Umlagen mehr Geld vom kreisangehörigen Raum oder wir verschulden uns, was im Augenblick rechtlich so eigentlich gar nicht zulässig ist.

hessenschau.de: Hier fordern Sie Lockerungen bei der Genehmigung der Haushalte. Seit 2017 dürfen Kreise, wenn überhaupt, dann nur mit Genehmigung Kredite aufnehmen.

Koch: Zunächst ist es ein großer Verdienst des Landes und der Kommunen, dass man versucht hat, die kommunale Ebene weitgehend zu entschulden. Das Land hat hier um die acht Milliarden Euro investiert, auch die Kommunen haben ihren Teil dazu gegeben. Deshalb kämpfen wir nicht zuallererst dafür, dass wir uns verschulden dürfen. Wir wollen mit dem auskommen, das wir haben.

Wenn es aber keinen anderen Weg mehr gibt, dann muss man sich überlegen, ob man nicht Sondersituationen anerkennt und Haushalte genehmigt, in denen Schulden gemacht werden. In Coronazeiten haben Bund und Länder sich auch zusätzlich verschuldet.

Und jetzt stehen wir vor einer Krankenhausreform. Wenn man da sagt, dass es nicht mehr Geld vom Bund oder vom Land gibt, dann kann man die Häuser ja nicht in die Insolvenz gehen lassen, wenn die kommunalen Träger auch nicht mehr Geld geben können oder dürfen. Wir reden hier oftmals über mehrere Millionen Euro pro Jahr pro Krankenhaus.

hessenschau.de: Sprechen wir noch über Sparforderungen, die vielleicht populärer sein könnten: Stichwort Bürokratieabbau.

Koch: Wir bemängeln generell, dass sich selbst die staatlichen Ebenen untereinander viel zu wenig vertrauen. Es wird untereinander kontrolliert, es gibt Doppelprüfungen, der Verwaltungsaufwand ist riesig. Ein Beispiel: Wir hatten Lebensmittelskandale in Hessen. Da ist es natürlich richtig, dass die Lebensmittelkontrolleure auch administrative Aufgaben übernehmen müssen.

Wenn das aber dazu führt, dass die Regierungspräsidien und das zuständige Ministerium jeden Monat eine dreistellige Zahl an Verfügungen und Weisungen an jeden einzelnen Kreis schicken, dann können die Kontrolleure ihre Aufgaben vor Ort nur noch schwer wahrnehmen, weil sie mit Kontrollmaßnahmen der nächsthöheren Ebene beschäftigt sind. Es gibt viele Beispiel, wo man Doppelprüfungen reduzieren könnte.

hessenschau.de: Haben Sie schon Signale von den künftigen Koalitionspartnern gehört?

Koch: Nein. Noch ist ja die alte Landesregierung im Amt. Aber natürlich hoffen wir, dass wir gemeinsam an die konstruktive Zusammenarbeit der vergangenen Jahre anknüpfen können und die Landkreise schnellstmöglich zu Genehmigungen der (Kreis-)Haushalte kommen.