Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir beim Interview im Hessischen Rundfunk

Sachlich bleiben, Menschen von nötigen Veränderungen überzeugen: Der Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir will diesem Stil treu bleiben, auch wenn der Trend gegen ihn läuft. Kleine Seitenhiebe gegen seine Konkurrenten ums Ministerpräsidentenamt verkneift er sich aber nicht.

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"hr-Wählbar" mit Tarek Al-Wazir

Tarek Al-Wazir
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Zehn Jahre als stellvertretender Ministerpräsident sollten für Tarek Al-Wazir eigentlich genug sein. Als erster Grüner wollte er nach der anstehenden Landtagswahl als Chef in die hessische Staatskanzlei einziehen. Folgt man aktuellen Umfragen, darf er inzwischen froh sein, wenn es für seine Partei wieder zum Juniorpartner in der Landesregierung reicht.

Im Interview mit hessenschau.de gibt sich der Wirtschafts- und Verkehrsminister weniger angriffslustig als gewohnt pragmatisch. Letztlich, zeigt er sich überzeugt, gewinne man nur mit sachlicher Politik Mehrheiten - und ohne Mehrheiten gar nichts.

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hessenschau.de: Herr Al-Wazir, hatten Sie schon einmal einen so schwierigen Wahlkampf? In den Umfragen waren die Grünen schon mal fast auf Augenhöhe mit der CDU. Kurz vor der Wahl liegen Sie nicht nur weit zurück, die rechte AfD mit ihrem aggressiv anti-grünen Kurs hat Sie eingeholt. 

Tarek Al-Wazir: Wahlkämpfe sind immer fordernd und spannend. Ich mag das und ich merke auch: Die Leute wissen, wofür ich als Person stehe. Was die AfD angeht ist völlig klar: Unsere Demokratie wird von denen bedroht, und wir haben die gemeinsame Aufgabe, diesen plumpen Parolen zu widerstehen und zu widersprechen. Das heißt: demokratisch wählen!

hessenschau.de: Ist es eine gute Idee, die zwei letzten Auftritte vor der Wahl am 8. Oktober gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu bestreiten? Ohne die Aufregung um sein Heizungsgesetz stünden Sie in den Umfragen besser da. 

Al-Wazir: Aus meiner Sicht ist Robert Habeck einer der klügsten Politiker, die wir in Deutschland haben. Vor einem Jahr hatten wir alle Angst davor, dass wir im Winter im Dunkeln und im Kalten sitzen. Robert Habeck hat dieses Land durch die Energiekrise geführt. Ich bin heilfroh, dass er an dieser Stelle sitzt und nicht mehr Peter Altmaier (Vorgänger von der CDU, Anm. d. Red.), der vier Jahre lang nichts gemacht hat. Oder Sigmar Gabriel (Vorgänger von der SPD, Anm. d. Red.), der unsere Gasspeicher an den staatlichen russischen Gazprom-Konzern verkauft hat. 

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Spitzenkandidaten im Interview

hessenschau.de spricht vor der Landtagswahl in Hessen mit den Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten der sechs im Landtag vertretenen Parteien:

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hessenschau.de: Aber Ihren pragmatischen Kurs dankt Ihnen niemand. Die CDU führt ihren Anti-Ampel-Wahlkampf doch auch gegen Sie mit Botschaften wie "Auto verbieten verboten". Wann ziehen Sie denn mal die Samthandschuhe aus? 

Al-Wazir: Ich habe einen anderen Stil und versuche, immer sachlich zu bleiben. Der Slogan "Auto verbieten verboten" ist ja Fake News, die ein einziges Ziel haben, nämlich zu spalten. Niemand will Autos verbieten. Von der AfD sind wir solche Parolen gewöhnt. Dass nun auch Boris Rhein mit seiner CDU darauf einsteigt, halte ich für gefährlich. Aber ich werde meinen sachlichen Stil nicht verlassen. Und ich bin überzeugt: Am Ende haben die Menschen ein sehr feines Gespür dafür, wer nur Lärm macht und wer Probleme wirklich lösen will.

hessenschau.de: Nehmen wir das Beispiel Klimaschutz: Sie müssen ja eigentlich schneller werden und mehr in kürzerer Zeit schaffen. Wie wollen Sie das mit der CDU durchsetzen, die ja vermutlich weiterhin Ihre einzige Machtoption bleibt, weil es für eine Ampel nicht reicht? 

Al-Wazir: Beim Klimaschutz haben wir eine riesige Aufgabe vor uns. Wir haben diesen Sommer in Europa gemerkt, wie Klimawandel sich anfühlt. Mit Rekordhitze, Dürrephasen, Waldbränden und gleichzeitigen Überschwemmungen. Deshalb müssen wir Dinge ändern. Aber wenn wir auf dem Weg die Menschen verlieren, erreichen wir in der Sache gar nichts. Deswegen ist mein Motto: Du musst genau wissen, wo du hinwillst. Du musst dann aber auch Schritt für Schritt und mit Augenmaß vorangehen. So will ich als Ministerpräsident dieses Land führen. 

Zitat
„Ich habe größtes Verständnis dafür, wenn junge Leute sagen: Wir können nicht so tun, als fände der Klimawandel nicht statt, wir müssen vorangehen. Und das machen wir ja auch.“
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hessenschau.de: Aber gerade jungen Menschen geht das nicht schnell genug. Beim Programmparteitag im Juli hat die Grüne Jugend gegen die Parteispitze durchgesetzt, dass das Ziel eines klimaneutralen Hessens von 2045 auf 2035 vorgezogen wurde. 

Al-Wazir: Ich habe allergrößtes Verständnis dafür, wenn gerade junge Leute sagen: Wir müssen beim Klimaschutz schneller werden. Das will ich auch, und das mache ich ja auch. Wir sind bei der Energiewende in Hessen gut vorangekommen, über die Hälfte des erzeugten Stroms stammt bei uns aus Erneuerbaren. Mit dem Schüler-, Senioren- und dem nochmals vergünstigten Deutschlandticket für Menschen mit geringem Einkommen fördern wir Bus- und Bahnfahren wie kein zwetes Land. Aber für all das braucht man Mehrheiten, man darf die Leute auf dem Weg nicht verlieren. Sonst klappt es nicht. 

hessenschau.de: Beim Schienenausbau rund um Frankfurt kommen Großprojekte wie die Nordmainische S-Bahn und die Regionaltangente West voran. Warum passiert bei der Reaktivierung stillgelegter Bahnlinien nur wenig? Die Schienen liegen doch oft schon da. 

Al-Wazir: Ich könnte manchmal wahnsinnig werden, wie lange wir in Deutschland brauchen, um zu planen und zu genehmigen. Wir sind da einfach viel zu kompliziert. Die Reaktivierung der Lumdatalbahn ist nur in Gang gekommen, weil wir der Deutschen Bahn die ganze Strecke abgekauft haben. Sonst würden wir noch mal zehn Jahre warten. Das ist nur ein Beispiel, wo wir einfach zu träge sind. Wir müssen dringend unsere Regeln so verändern, dass wir uns nicht vor lauter Perfektionismus fesseln. Deshalb diskutieren wir mit dem Bund über den Pakt für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung. 

hessenschau.de: Träge ist ein gutes Stichwort für die geplanten Schnellradwege. Zuletzt wurden in drei Jahren insgesamt nur 20 Kilometer gebaut. 

Al-Wazir: Wir haben als Land in den vergangenen Jahren viele neue Radwege in den Städten und Gemeinden mit Millionen gefördert. Und da ist richtig was in Gang gekommen. An den Bundes- und Landesstraßen haben wir es mit einer Unzahl von Regeln und Vorgaben zu tun. Aber auch da geht es voran. Inzwischen plant Hessen Mobil an mehr als 200 neuen Radwegen an Bundes- und Landesstraßen. Aber meine Erfahrung ist auch: Wenn eine Bürgermeisterin auf die Grundbesitzer vor Ort zugeht, dann ist das erfolgreicher, als wenn ein Brief von Hessen Mobil aus Wiesbaden kommt.   

hessenschau.de: Aber nicht alle Bürgermeister machen das, oder? 

Al-Wazir: Doch, inzwischen alle. Denn alle wissen jetzt, dass möglichst gerade Radwege ohne Kreuzungen sinnvoll sind. Der Radverkehr hat sich deutlich verändert. Durch den E-Bike-Boom legen die Menschen auf Rädern größere Distanzen zurück.  

hessenschau.de: Dass die Region näher an Frankfurt heranrückt, war auch die Idee hinter dem Projekt Großer Frankfurter Bogen: Wohnungen im gut angebundenen Umland bauen. Jetzt ist Bauen sehr teuer geworden. Bis 2040 müssten aber jedes Jahr mehr als 20.000 Wohnungen entstehen, um den von Ihrem Ministerium ermittelten Bedarf zu erreichen. Wie soll das gelingen?  

Al-Wazir: Wir müssen die Kommunen dabei unterstützen, Bauland auszuweisen. Und wir müssen diese Baugebiete gerade dort planen, wo es gute Bahnverbindungen gibt. Das ist ja die Idee hinter dem Großen Frankfurter Bogen. Gleichzeitig müssen wir Erfolge, die wir beim geförderten Wohnraum erzielt haben, fortsetzen. Hessen ist eines von vier Bundesländern mit einer wieder steigenden Zahl an Sozialwohnungen. 

hessenschau.de: Also müsste das Land mehr Geld zuschießen? 

Al-Wazir: Ja, wir müssen weiter fördern. Die Zinsen liegen im historischen Vergleich eigentlich nicht so hoch. Aber dass der Leitzins innerhalb von einem Jahr von minus 0,5 auf 4,5 Prozent gestiegen ist, lässt momentan bei vielen die Finanzierung wackeln. Wir müssen dazu beitragen, dass sich der Markt beruhigt, beispielsweise durch günstige Förderkredite. 

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„Wir müssen die Erfolge, die wir beim geförderten Wohnraum erzielt haben, fortsetzen.“
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hessenschau.de: Lassen Sie uns kurz auf die Innenpolitik schauen. Warum haben sich die Grünen Kritik dafür eingehandelt, den Abschlussbericht des Hanau-Untersuchungsausschusses hinauszuzögern? Sie hätten Unterschiede zur Union vor der Wahl noch einmal klar adressieren können. 

Al-Wazir: Die Debatte im Landtag letzte Woche hat gezeigt, warum. Im Wahlkampf schlagen alle aufeinander ein. Für mich war der 19. Februar 2020 in Hanau einer der schlimmsten Tage meines Lebens. Dass wir es nicht geschafft haben, Menschen vor solch rassistischer Gewalt zu schützen. Und ich bedauere es sehr, dass wir es nicht geschafft haben, diese Katastrophe aus dem politischen Kampf herauszuhalten und daraus gemeinsam Lehren zu ziehen. Das unterscheidet uns leider von anderen Bundesländern. Wir werden dann wahrscheinlich im November über den Abschlussbericht beraten und hoffentlich gemeinsam die Frage beantworten: Was können wir verbessern, damit so etwas möglichst nie wieder passiert? 

hessenschau.de: Oft müssen sich die Grünen anhören, sie übertrieben es gegenüber Innenminister Peter Beuth (CDU) mit der Geräuschlosigkeit. 

Al-Wazir: Wer weiß, wie wir intern diskutieren, sagt so etwas nicht. Und sehen Sie doch mal, was sich verändert hat in den Sicherheitsbehörden. Wie sehr die hessische Polizei jetzt auch einen Schwerpunkt legt auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Wie sehr der Verfassungsschutz inzwischen daran arbeitet, wirklich alles in diesem Bereich auszuleuchten. Da hat sich in Hessen sehr, sehr viel geändert. Für mich zählt immer das Ergebnis. Mir ist immer wichtiger, wie es ist, und nicht, wie es scheint. 

hessenschau.de: Am Ende tauscht Herr Rhein vielleicht trotzdem den Juniorpartner. Die SPD könnte der CDU näher stehen und nach 25 Jahren Opposition auch leichter zu haben sein. 

Al-Wazir: Ich denke jetzt nicht über Koalitionspartner nach, sondern über die Frage: Was will ich erreichen in der Sache? Ich mache den Hessinnen und Hessen ein Angebot: mehr Kita-Plätze, bezahlbare Wohnungen und einen sechs Milliarden Euro schweren Klima- und Transformationsfonds. Und ich kann ihnen versichern: Wer mich wählt, bekommt auch mich. Ich bin am Montag nach der Wahl auch noch da. Egal, wie die Wahl ausgeht. 

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Zur Person

Tarek Al-Wazir (52) ist Wirtschafts- und Verkehrsminister und stellvertretender Ministerpräsident in Hessen. Von 2000 bis 2014 führte er die Grünen-Fraktion im Landtag. Er studierte in Frankfurt Politologie. Er wuchs in Offenbach auf und lebt auch dort. Al-Wazir ist der erste grüne Bewerber um das Amt des Regierungschefs in Hessen.

Sie wollen mehr über den Spitzenkandidaten erfahren? Hier geht es zu Al-Wazirs Profil im hr-Kandidatencheck.

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