Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) beim Interview im Hessischen Rundfunk

Mit einem Anti-Ampel-Wahlkampf zieht Ministerpräsident Boris Rhein durch das Land. Im Interview legt er dar, warum er ein solches Bündnis für Hessen schlecht fände und welche Lehrer ihm die liebsten sind.

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"hr-Wählbar": CDU-Spitzenkandidat Boris Rhein

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Mitte 2022 übernahm Boris Rhein mitten in der Legislaturperiode das Amt des Ministerpräsidenten von Volker Bouffier, um mit einem Amtsbonus den Wahlkampf zur Landtagswahl 2023 bestreiten zu können - dieser Plan der Hessen-CDU scheint aufzugehen. Der Regierungschef hält seine Partei in Umfragen stabil mit großem Vorsprung auf Platz eins.

Im Interview mit hessenschau.de warnt Rhein trotzdem davor, dass das Ergebnis der Wahl am 8. Oktober längst nicht ausgemacht sei - und erklärt, warum er im Wahlkampf-Endspurt nicht mehr mit Friedrich Merz auftritt.

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hessenschau.de: Herr Rhein, rein nervlich stellen wir uns den Wahlkampf für Sie entspannt vor. Sie freuen sich über die Umfragen, warten auf neue Probleme in der Ampel und schauen, dass Sie selbst keine Patzer machen.

Boris Rhein: Wir wollen nicht die Sonntagsfrage gewinnen, sondern den Wahlsonntag. Wenn alle denken, die Wahl sei schon gelaufen, kann das dazu führen, dass manch einer am Wahltag daheim bleibt, dessen Stimme wir dringend brauchen. Wir kämpfen deshalb weiter um jede Stimme, denn auch diese Wahl wird eine knappe Sache. Eine Ampel-Regierung ist in Hessen nach wie vor möglich und wird kommen, wenn es den Stimmen nach reicht. Wir als CDU wollen dafür sorgen, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern dieses Regierungsmodell ersparen. Es ist die schlechtestmögliche Koalition. Das sehen wir auf Bundesebene. Die CDU muss so stark wie möglich werden, damit an ihr vorbei keine Koalition gebildet werden kann. 

hessenschau.de: Ihre zentrale Botschaft ist der Anti-Ampel-Slogan: "Kurs statt Chaos". Die SPD wirft Ihnen einen Trümmer-Wahlkampf vor, weil Sie mit dem ständigen Herbeireden des Chaos' Staatsverdrossenheit und die AfD fördern.

Rhein: Die Politikverdrossenheit und die Trümmer verursacht die Ampelkoalition in Berlin ganz alleine. Wir haben hier seit 1999 unter Führung der CDU stets eine stabile Regierung gebildet und Hessen enorm vorangebracht. Wir haben heute mehr Lehrer, mehr Polizisten, mehr Wirtschaftskraft und mehr Investitionen in Klima, Bildung und Forschung als je zuvor. Für die tiefe Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger ist ausschließlich die Ampel verantwortlich. Dass wir darüber sprechen, kann man uns nicht vorhalten. Egal, was für einen Zirkus die Ampel in Berlin anrichtet - das wird es mit uns in Hessen nicht geben.

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Spitzenkandidaten im Interview

hessenschau.de spricht vor der Landtagswahl in Hessen mit den Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten der sechs im Landtag vertretenen Parteien:

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hessenschau.de: Der Chaosvorwurf richtet sich auch gegen die Grünen, mit denen Sie in Hessen regieren. Das gilt doch auch für Ihre Plakate, auf denen steht: "Autos verbieten verboten". Wer will denn Autos verbieten?

Rhein: Wir haben eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Grünen. Aber es muss schon sehr klar sein, wer wofür steht. Das Verbrenner-Verbot und Tempolimits sind akute Debatten, insofern ist "Auto verbieten verboten" ein richtiger Slogan. Wir wollen, dass die Menschen die Wahlfreiheit haben, mit welchem Verkehrsmittel sie sich fortbewegen. Es hat keinen Sinn, Klimaschutz durch Verbote herbeiführen zu wollen.

Das Heizungsgesetz, der sogenannte Heizhammer von Herrn Habeck und der Ampelkoalition, ist das beste Beispiel. Das Theater, das sie dort veranstaltet haben, hat viel Protest provoziert. Die Bundesregierung hat die Menschen verunsichert und den Klimazielen, die wir alle erreichen wollen, einen Bärendienst erwiesen.

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„Die von mir angeführte Regierung hat beim Klimaschutz geliefert.“
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hessenschau.de: Aber das Verbrenner-Aus für das Jahr 2035 ist auf EU-Ebene beschlossen. Wie wollen Sie das zurückdrehen?

Rhein: Wir brauchen einen starken politischen Einsatz dafür, dass das nicht kommt und wir weiter am sauberen Verbrenner mit synthetischen Kraftstoffen forschen. Viele Menschen in Deutschland werden noch über Jahrzehnte auf den Verbrenner angewiesen sein, gerade auf dem Land. Hinzu kommen die mehr als 240.000 Beschäftigten in der Automobilindustrie alleine in Hessen. Deswegen plädiere ich für Technologieoffenheit. Am Ende kommt es darauf an, den Verbrenner umweltfreundlicher zu machen. Es ist nicht die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern zu entscheiden, welche Technologie gut und richtig ist. Das müssen Forscher machen, Ingenieure und Techniker.

hessenschau.de: Klimaschutz spielt keine Rolle in Ihrem Wahlkampf. Dabei haben Sie ihn in Ihrer Antrittsrede als Ministerpräsident noch in das Zentrum gestellt. Mussten Sie das damals, damit Ihr grüner Koalitionspartner dem Wechsel an der Regierungsspitze während der Legislaturperiode zustimmt?

Rhein: Nein, keineswegs. Ich habe das nicht nur in der Regierungserklärung zum zentralen Thema gemacht, sondern ich habe auch geliefert. Wir haben im Doppelhaushalt 2023/2024 rund 1,8 Milliarden Euro für Klimaschutz vorgesehen, mehr als je zuvor. Hessen ist Vorreiterland bei den preiswerten Tickets für den ÖPNV, und wir haben uns ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Um die Klimafolgen so gut wie möglich zu bewältigen, haben wir außerdem den Katastrophenschutz gestärkt.

hessenschau.de: Eines dieser Klimaziele ist, bis 2030 fast zwei Drittel der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 einzusparen. Experten etwa vom Öko-Institut sagen, mit den bisher geplanten Schritten reiche es nur zu 43 Prozent minus. Sie müssen also beschleunigen.

Rhein: Für alle Schritte brauchen wir die Akzeptanz in der Bevölkerung. Bevormundung und Verbote nutzen dem Klimaschutz gar nichts. Nehmen Sie das neue KfW-Förderprogramm für Solarstrom: Die Mittel waren nach 24 Stunden abgerufen. Das zeigt doch, dass die Menschen mitziehen, wenn wir ihnen gute Angebote machen.

Ich möchte für Hessen ein 100.000-Dächer-Programm bei der Photovoltaik, und wir müssen die erneuerbaren Energien schneller ausbauen. Dafür haben wir einen eigenen Windkraftsenat am Verwaltungsgerichtshof in Kassel eingerichtet, der Klagen gegen Windräder zügiger bearbeiten soll. Wir müssen aber auch wieder die Kernkraft nutzen - zumindest für eine Übergangszeit. Dass sich die Grünen damit schwertun, verstehe ich. Aber grüne Parteien in anderen europäischen Länder tragen das mit, weil sie sagen: besser Kernkraft nutzen als umweltschädliche Kohle verfeuern. Außerdem soll Hessen zum Standort für laserbasierte Kernfusion werden. Das kann bei CO2-neutralen Energien ein echter Game Changer werden.

hessenschau.de: Sie haben gewarnt, dass der "Heizhammer" das Lebenswerk vieler Menschen bedrohe. Viele Hausbesitzer in Hessen bringt ein ganz anderer Hammer in die Bredouille: die hohen Anliegerbeiträge für die Sanierung von Straßen. Bürgerinitiativen, SPD und Linke fordern schon lange die Abschaffung. Warum tun Sie das nicht?

Rhein: Das ist eine Sache der kommunalen Selbstverwaltung. Die Gemeinden können vor Ort selbst entscheiden, ob sie die entsprechenden Ausbaubeiträge erheben oder nicht.

hessenschau.de: Weit mehr als 100 Kommunen in Hessen verlangen immer noch diese Beiträge. Da geht es oft um mehrere zehntausend Euro pro Grundstück. Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen hat die Beiträge vergangene Woche abgeschafft, Bayern oder Thüringen schon länger. Dass viele Hessen zahlen, ist doch ungerecht.

Rhein: Das liegt in der Entscheidungsfreiheit unserer Kommunen. Darüber müssen die Bürgerinnen und Bürger mit Ihrer jeweiligen Gemeindevertretung diskutieren.

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„Es gibt einen großen Lehrerbedarf in Hessen - auch weil wir 4.000 Stellen geschaffen haben.“
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hessenschau.de: Ihre Schulpolitik nennen Sie gern eine Erfolgsgeschichte. Nur sehen Lehrer, Eltern und Schüler das anders. Die haben kürzlich eine "Bildungskrise" ausgerufen - vor allem wegen des Lehrermangels.

Rhein: Wie kommen Sie darauf?

hessenschau.de: Die Lehrergewerkschaft GEW, der Landeselternbeirat und die Landesschülervertretung haben deshalb gemeinsam zu Demonstrationen aufgerufen.

Rhein: Die GEW betreibt einen parteiischen Wahlkampf für die SPD. Ich nehme das zur Kenntnis. Es gibt in Hessen rund 64.000 Lehrerinnen und Lehrer, 800.000 Schülerinnen und Schüler und 1,6 Millionen Eltern von Schülern. Schule betrifft also sehr viele Menschen in Hessen, aber auf den Demonstrationen habe ich nur wenige Teilnehmer gesehen. Zum Schuljahresbeginn haben wir bei allen Schulämtern ein Elterntelefon geschaltet, das haben wir hoch und runter beworben. Wissen Sie, wie viele Anrufe es gab? 110! Und wie oft ging es um das Thema Lehrerversorgung? Fünf Mal!

Es gibt in Hessen einen großen Lehrerbedarf, das ist richtig. Aber das liegt auch daran, dass wir zuletzt 4.000 Lehrerstellen geschaffen haben, die wir auch besetzen können.

hessenschau.de: Aber es gibt für manche Fächer ein Überangebot an Lehrern, dafür fehlen viele zum Beispiel in Mathematik oder Physik. Warum knüpfen Sie Lehramtsstudiengänge nicht an bestimmte Vorgaben wie eben solche Mangelfächer?

Rhein: Weil die Menschen natürlich eine Berufswahlfreiheit haben.

hessenschau.de: Sie könnten Anreize schaffen.

Rhein: Wollen Sie, dass Ihre Kinder von einem Lehrer unterrichtet werden, der gar nicht Mathematik lernen wollte? Ich möchte lieber einen Lehrer, der das Fach mit großer Freude unterrichtet. Natürlich sind in manchen Fächern die Stellen schwieriger zu besetzen. Aber auch das werden wir schaffen. Angehende Lehrerinnen und Lehrer wissen, dass ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz mit einer bestimmten Fächerkombination steigen. Ich setze da auf die Vernunft der Studierenden.

hessenschau.de: Für Grundschullehrer haben Sie eine bessere Bezahlung beschlossen - praktischerweise zu Beginn des Wahlkampfs. Warum nicht eher?

Rhein: Das hat mit Wahlkampf nichts zu tun, sondern mit dem Landeshaushalt. Der sieht eine Schuldenbremse vor. Deshalb müssen wir uns sehr genau überlegen, wofür wir wann wie viel Geld ausgeben. Seit 24 Jahren erleben wir die Opposition immer gleich: Erst fordert sie mehr, und wenn es mehr gibt, kritisiert sie, dass es schneller hätte gehen müssen.

hessenschau.de: Wenn wir nichts übersehen haben, wird Friedrich Merz im Wahlkampf nicht mehr auftauchen. Hatten Sie Sorge, Sie müssten sonst wieder irgendwelche Äußerungen von ihm zur AfD einfangen?

Rhein: Nein, Friedrich Merz war ja hier, und er kommt auch am 6. Oktober nach Kelkheim …

hessenschau.de: … aber mit Ihnen tritt er nicht mehr auf.

Rhein: Weil wir zeitlich nicht mehr zusammengekommen sind. Aber ich trete gerne mit ihm auf. Wir haben unseren Wahlkampfauftakt mit Friedrich Merz in Frankfurt gehabt. Das war sehr erfolgreich. Er hat für die CDU enorm viel bewirkt. Friedrich Merz hat CDU und CSU wieder zur Union geformt. Wir sind bundesweit vor der Kanzlerpartei konstant die Nummer eins. Im Bundestag sind wir der Motor, während wir eine Ampel haben, die sich jeden Tag zerstreitet. 

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„Es wird ein knappes Rennen, eine Ampel-Regierung in Hessen ist immer noch möglich.“
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hessenschau.de: Anders als Herr Merz haben Sie sich zur Brandmauer gegen die AfD immer eindeutig geäußert. Sie brauchen die AfD aber auch nicht als möglichen Partner - das könnte sich irgendwann ändern.

Rhein: Aktuell sehen wir einen rein demoskopischen Anstieg bei der AfD. Warten wir die Wahl ab, dann sehen wir klarer. Die Brandmauer steht nicht nur, sie ist für mich vollkommen unverrückbar. Die Werte dieser Partei sind nicht mit christdemokratischen Werten in Übereinstimmung zu bringen.

hessenschau.de: Sie können nach der Wahl vermutlich zwischen Grünen und SPD wählen. Wir tippen derzeit auf die SPD: Es gibt große Schnittmengen, und nicht wenige in Ihrer Fraktion sind der Grünen wohl etwas müde.

Rhein: Wie gesagt: Warten wir das Ergebnis ab. Es wird Auskunft darüber geben, wem die Bürgerinnen und Bürger die Aufgabe der Regierungsbildung übertragen und das Land anvertrauen. Wenn wir vorne liegen, wird es darauf ankommen, mit wem wir am meisten von unserem Programm umsetzen können. Aber das wird ein knappes Rennen, da darf man sich jetzt nicht zurücklehnen. Eine Ampel-Regierung ist immer noch möglich. Und ich bin der festen Überzeugung: Die werden eine Ampel machen, auch wenn sie nur eine einzige Stimme Vorsprung haben.

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Zur Person

Boris Rhein (51) ist seit dem 31. Mai 2022 hessischer Ministerpräsident. Zuvor war er Präsident des Landtags in Wiesbaden, wiederum davor Minister für Wissenschaft und Kunst sowie Innenminister. Er stammt aus Frankfurt, lebt mit seiner Familie in Frankfurt und studierte auch dort: Rechtswissenschaft an der Goethe-Universität.

Sie wollen mehr über den Spitzenkandidaten erfahren? Hier geht es zu Rheins Profil im hr-Kandidatencheck.

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