Doppelter Strombedarf bis 2045 Industrie setzt auf Rhein-Main-Link für Planungssicherheit
Die Hochspannungstrasse Rhein-Main-Link soll dabei helfen, Hessen bis 2045 klimaneutral zu machen. Dagegen regt sich viel Kritik. Dabei brauchen Großverbraucher wie Zementhersteller Dyckerhoff in Zukunft riesige Mengen an grünem Strom.
Im Zementwerk Dyckerhoff in Mainz-Amöneburg laufen die Anlagen auf Hochtouren. Die Walzen zermahlen den Kalkstein, um daraus hochwertigen Weißzement herzustellen. Das verbraucht extrem viel Energie. "Weil wir unsere Industrie gerade hin zu CO2-freier Produktion transformieren wollen, wird es sehr herausfordernd für uns, den kommenden Strombedarf zu decken", sagt der Leiter des Werks in Wiesbaden, Stefan Woywadt.
Der Zement- und Betonhersteller Dyckerhoff arbeitet daran, vermehrt alternative Materialien wie Hüttensand einzusetzen, um den CO2-Ausstoß bei der Zementproduktion zu verringern. Doch um diese Zusatzstoffe zu zerkleinern, braucht es mehr elektrische Energie. Woywadt rechnet damit, dass sein Werk künftig bis zu 50 Prozent mehr Strom benötige als bisher. Am besten natürlich grünen Strom.
Strombedarf wird sich bis 2045 verdoppeln
Dyckerhoff beschäftigt rund 5.000 Mitarbeiter in deutschlandweit sieben Zement- und 100 Transportbetonwerken. Seit 160 Jahren hat das Unternehmen seinen Sitz in Hessen. In einem absatzstarken Jahr verbraucht Dyckerhoff allein am Hauptstandort Wiesbaden 76 Millionen Kilowattstunden Strom. Das entspricht einem Verbrauch von 19.000 Haushalten mit je vier Personen.
Dyckerhoff ist nur ein Beispiel. Verschiedene Schätzungen, unter anderem vom Fraunhofer Institut, gehen davon aus, dass sowohl in Deutschland als auch in Hessen bis 2045 doppelt so viel Strom benötigt wird wie bisher.
Wie stark der Bedarf tatsächlich steigt, hängt nach Ansicht des Thinktanks Agora Energiewende auch von Entscheidungen der Politik und der Verbraucher ab: Wie viele klimafreundliche Wärmepumpen werden installiert? Wie viele E-Autos kommen auf die Straße? Oder: Wie viel grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyseleistung produziert?
Hessen besonders attraktiv für Rechenzentren
Nach vorläufigen Angaben des Statistischen Landesamts hatte Hessen 2023 einen Bruttostromverbrauch von mehr als 37 Terawattstunden. Der Löwenanteil (rund 42 Prozent) wurde im Bereich Gewerbe, Handel und Dienstleistungen verbraucht, worunter auch die besonders stromhungrigen Rechenzentren fallen. Hessen, speziell Frankfurt, ist dabei laut Agora durch den Internetknotenpunkt DE-CIX besonders attraktiv für neue Rechenzentren.
Doch der in der Region produzierte Strom reicht bei Weitem nicht aus. Um den steigenden Bedarf decken zu können, soll eine 600 Kilometer lange Stromtrasse Windenergie aus Niedersachsen ins Rhein-Main-Gebiet bringen. Ab 2033 soll der sogenannte Rhein-Main-Link so viel Strom liefern, dass acht Millionen Menschen damit versorgt werden können.
Großer Widerstand gegen Rhein-Main-Link
"Konventionelle Kraftwerke, fossile Kraftwerke gehen vom Netz und müssen durch erneuerbare Energien ersetzt werden", sagt Jonas Knoop vom Netzbetreiber Amprion, der den Rhein-Main-Link in Hessen plant. "Gleichzeitig benötigt Hessen eine Menge Strom." Dafür muss das überregionale Netz ausgebaut werden, doch das geht kaum ohne Widerstand.
Der Rhein-Main-Link etwa ist hoch umstritten. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hält die Berechnungen für den Energiebedarf insgesamt für überdimensioniert und spricht sich für lokale Energiegewinnung durch dezentrale kleinere Anlagen aus. Kommunen glauben, dass der Rhein-Main-Link den Bau weiterer Wohngebiete verhindern könnte. Förster fürchten zudem um die Dichte des Waldes und fordern Freileitungen über den Baumkronen, um die Wälder als CO2-Speicher zu erhalten.
Viele hessische Landwirte sind beunruhigt, dass ihre wertvollen Böden und Kulturen durch die Baustellen nachhaltig zerstört oder durch Umspannwerke vernichtet werden könnten. Winzer in Hochheim (Main-Taunus) sorgen sich wiederum, dass die überwiegend unterirdisch geplanten Erdkabel den Boden derart erhitzen, dass ihre Reben darunter leiden.
Erdkabel politisch gewollt
Grundsätzlich gilt die Trassenführung per Erdkabel im Vergleich zur herkömmlichen über oberirdische Leitungen als teurer, allerdings auch als sparsamer im Flächenverbrauch. Auf die unterirdische Verlegung der für die Energiewende benötigten Super-Stromtrassen wie den Rhein-Main-Link hat sich die Bundespolitik vor über zehn Jahren festgelegt, nach massivem Widerstand gegen Hochspannungsleitungen vor allem aus Bayern.
Der hessische Landtag forderte Ende 2024 per Beschluss, dass die Bundesregierung die Pflicht zur Erdkabelverlegung beim Rhein-Main-Link aufheben solle. Die Bundesnetzagentur in Bonn erteilte dem eine Absage.
Die Kabel sollen aber möglichst tief unter der Erde verlaufen, um zumindest die Winzer und Landwirte zu besänftigen. Der Rhein-Main-Link soll vier Endpunkte in der Rhein-Main-Region haben, zwei westlich von Frankfurt, zwei im Hessischen Ried. Der genaue Verlauf der Trasse wird noch geprüft. Amprion nimmt gerade Probebohrungen vor, um das Gelände zu erkunden.
Planung muss rechtssicher sein
"Wir haben sehr viele Hindernisse, die wir mit dem Erdkabel queren müssen", so Knoop. Dazu gehörten Straßenbahnlinien, Gewässer wie der Main und große Waldgebiete. "Und da müssen wir natürlich sehr, sehr genau in der Planung vorgehen, wie wir den verträglichsten Weg hinbekommen können", sagt der Amprion-Manager.
Das ist nicht nur aufwendig, sondern auch eine große Herausforderung, denn alles muss so rechtssicher sein, dass die Planung im Falle einer Genehmigung durch die Bundesnetzagentur gegen Klagen gewappnet ist. Die Zeit drängt. In drei Jahren soll mit dem Bau des Rhein-Main-Links begonnen werden, um langfristig umweltfreundlichen und günstigen Strom transportieren zu können.
Günstige Strompreise als Standortfaktor
"Aus unternehmerischer Sicht sind Strompreise ein Standortfaktor", hält der Zementhersteller Dyckerhoff fest. Ein hoher Strompreis schaffe Anreize, Zement im Ausland zu produzieren und zu importieren. "Des Weiteren verhindern zu hohe Strompreise die notwendige Elektrifizierung von Prozessen und Werken."
Sinnvoll wäre es außerdem, wenn Deutschland unabhängiger werde bei der Energieversorgung, findet Werksleiter Woywadt: "Wir müssen in Zukunft massive Investitionen tätigen. Aber das machen wir natürlich nur dann, wenn wir auch wissen, dass der Strom künftig zur Verfügung steht." Damit die Mühlen im Wiesbadener Zementwerk weiter mahlen können.