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Meron Mendel: "Es gab keinen Kontakt mit Ruangrupa"

Meron Mendel Portrait

Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, hat sein Engagement für die documenta 15 in Kassel als externer Experte aufgekündigt. Er vermisst den Willen, die Vorgänge des Antisemitismus-Skandals aufzuklären.

Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, ist nicht länger Berater der documenta 15. Die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, habe weder geeignete Rahmenbedingungen geschaffen, noch ein angemessenes Tempo an den Tag gelegt, teilte die Bildungsstätte am Freitag mit. Man stehe vor einem "Scherbenhaufen im Diskurs über Antisemitismus und Rassismus".

Dem Spiegel sagte Mendel: "Es gibt auf der documenta jede Menge Gutes, aber bei der Auseinandersetzung mit dem aktuellen Antisemitismus-Skandal vermisse ich den ernsthaften Willen, die Vorgänge aufzuarbeiten und in einen ehrlichen Dialog zu treten". Daher habe er der documenta-Leitung Anfang der Woche mitgeteilt, dass er als Berater zur Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals nicht mehr zur Verfügung stehe.

Bei der Ausstellung für Gegenwartskunst waren ein halbes Jahr vor ihrem Beginn Antisemitismus-Vorwürfe gegen das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa laut geworden. Kurz nach der Eröffnung der Schau Mitte Juni wurde dann eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt.

Zwei Wochen nichts passiert

Das Banner "People's Justice" des indonesischen Kunstkollektivs Taring Padi wurde daraufhin zunächst verhüllt und dann abgebaut. Die Organisatoren der documenta hatten als Konsequenz angekündigt, alle weiteren Werke mithilfe externer Experten, darunter auch Mendel, auf antisemitische Inhalte zu prüfen. Er habe gedacht, es sollte darum gehen, die Kunstwerke zu begutachten und mit Ruangrupa in den Dialog zu treten, führte Mendel jetzt aus. "Aber nach mehr als zwei Wochen ist weder das eine noch das andere passiert."

Auch die Idee zur Gründung eines hochkarätig besetzten Beirats aus Antisemitismus-Experten sei abgelehnt worden. "Mir drängt sich der Eindruck auf, dass hier auf Zeit gespielt werden sollte, bis die documenta fifteen vorüber ist." Der Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, wirft Mendel Untätigkeit vor. "Als sie mich anfragte, hatte ich den Eindruck, dass sie die Schwere der Krise verstand. Sie sagte, dass sie die Verantwortung für die Bearbeitung des Antisemitismus-Skandals mit der notwendigen Eile und aller Entschiedenheit übernehme. Aber dieser Ansage sind keine Taten gefolgt", erklärte Mendel.

Immer wieder für die Schau eingesetzt

Trotzdem appellierte die Anne Frank Bildungsstätte, nicht die gesamte Schau als antisemitisch zu brandmarken: "Die mehr als 1.500 Künstler*innen aus aller Welt als 'Antisemita'-Künstler*innen zu verurteilen, ist diffamierend und wenig hilfreich, um mit jenen im Gespräch zu bleiben, die offen sind für die kritische Auseinandersetzung", hieß es in der Pressemitteilung. Am Donnerstagabend hatte eine Abgeordnete der Union bei einer Bundestagsdebatte das Wort "Antisemita" benutzt.

Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank hatte sich seit Bekanntwerden der Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta immer für die Schau eingesetzt. So nahm er unter anderem an einem Podium zum Thema "Antisemitismus in der Kunst" teil. Die Veranstaltung sollte laut documenta den Auftakt einer Reihe zur Aufarbeitung der Vorwürfe bilden.

"Wenn ich mich nicht selbst bemüht hätte, wäre wohl kein Vertreter von Ruangrupa bei der Diskussionsveranstaltung anwesend gewesen, die die Bildungsstätte Anne Frank mit organisiert hat", sagte Mendel jetzt. Nur als er schriftlich seinen Ausstieg in Erwägung gezogen habe, sei die documenta-Leitung tätig geworden. Trotzdem will Mendel im Dialog bleiben, der sei dringend notwendig. Eine Bereitschaft dazu sieht er bisher aber weder bei der documenta - noch bei der künstlerischen Leitung.

documenta-Leitung zeigt sich überrascht

Die Leitung der documenta bezeichnete die Entscheidung Mendels als überraschend und erklärte, diese zu respektieren. Der Weg der Aufklärung und Aufarbeitung werde weiter konsequent fortgesetzt.

Im Austausch mit Kollektiven, Künstlerinnen und Künstlern habe die Künstlerische Leitung der documenta fifteen die Sichtung von Arbeiten übernommen. Anlassbezogen werde dabei die Einschätzung von Expertinnen und Experten eingeholt. Erste Ergebnisse lägen bereits vor.

Bedauern beim Land Hessen

Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) bedauerte Mendels Rückzug. Sie könne seinen Schritt aber gut nachvollziehen, teilte die stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der documenta mit. Mendel habe mit viel Energie lange versucht, mit der documenta gGmbH eine Struktur für die Aufarbeitung zu finden. "Dass das nicht gelungen ist, ist ein Rückschlag für die Aufarbeitung, denn Professor Mendel hat mit seiner großen fachlichen Expertise beim Thema Antisemitismus und seinem klaren Bekenntnis zur documenta eine wichtige Brückenfunktion", erklärte Dorn.

Die Gesellschafter der documenta - das Land Hessen und die Stadt Kassel - hätten ihre klare Erwartung formuliert, dass es eine solche Aufarbeitung geben müsse. "Frau Dr. Schormann hat diesen Auftrag angenommen und auch öffentlich mehrfach angekündigt." Sie halte ein Expertengremium weiter für dringend notwendig, betonte Dorn. Nach Mendels Rückzug müsse darüber nun auch dringend im Aufsichtsrat gesprochen werden. Bereits am Mittwoch hatte Dorn im Kulturausschuss des Bundestages berichtet, eine außerordentliche Sitzung des Gremiums beantragt zu haben.

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