Opelvillen

In den Opelvillen in Rüsselsheim können Menschen mit Demenz Kunst erleben. Die speziellen Museumsführungen wecken Erinnerungen und regen die Sinne an.

Es sind oft die kleinen Reaktionen: ein Lächeln oder ein Wippen mit den Füßen, manchmal auch ein Singen. Ab und zu sogar ein Diskussionsbeitrag. Als Museumsleiterin Beate Kemfert während ihrer Museumsführung auf Berlin zu sprechen kommt, wird ein Besucher hellhörig. Er sei dort geboren, weit vor der Teilung, ruft er ihr zu. Der Mann ist deutlich über 80 Jahre alt und an Demenz erkrankt.

In der Führung geht es um Bilder der Fotografinnen Frieda Riess und Yva, die in den 1920er-Jahren ihre Werke produzierten. Die Kunst aktiviert den betagten Besucher, der im Hufeland-Haus lebt, einem Altenpflegeheim in Frankfurt am Main. Es werden bei ihm Erinnerungen wach, die möglicherweise lange im Verborgenen geschlummert haben.

Starke Nachfrage

"Das ist immer ein total schöner Moment", erklärt Museumsleiterin Kemfert. "Wenn die Besucher sich öffnen können und sich beteiligen, dann ist das einfach toll, mitzuerleben." Nach persönlichen Erfahrungen in der eigenen Familie entwickelte Kemfert die Idee, Führungen für Menschen mit Demenz anzubieten. Im Mai 2013 besuchte die erste Gruppe an Demenz Erkrankter die Opelvillen. Seitdem finden die Führungen regelmäßig statt. Die Nachfrage nach diesem Angebot wächst stetig.

Eineinhalb bis zwei Stunden lang kümmert sich das Museumspersonal während der Führungen um die Besucher. Kunstvermittlerinnen erklären die Zusammenhänge. Mit Requisiten wie Hüten, Federn oder auch durch den Einsatz von Musik sollen die Sinne angeregt werden. Es soll ein Bezug hergestellt werden zu den gezeigten Kunstwerken. Als Erinnerung werden Polaroid-Fotos geknipst, die die Besucherinnen mit in ihr Wohnheim nehmen können.

Opelvillen

Erinnerungen aktivieren

Fast jeder möchte dann auch den großen Hut aufsetzen, den die Mitarbeiterinnen mitgebracht haben. Manche Besucherinnen legen auch die Perlenkette um oder die Federboa. Die 1920er-Jahre sind nicht nur auf den Fotos präsent, die an den Wänden hängen. Sie werden auch mit Hilfe der Requisiten zum Leben erweckt. Und mit ihnen die dementen Besucherinnen. Der Blick in den Spiegel bringt so manchen zum Lachen.

"Wir unternehmen zwar auch so manche Aktivität im Wohnheim", erklärt Sozialarbeiterin Udita Ahmed. "Aber so, wie sie hier aufblühen, außerhalb ihres gewohnten Umfelds, das ist schon etwas Besonderes", meint die Betreuerin, dreht sich um und schaut direkt in ein vor Freude strahlendes Gesicht.

Opelvillen

Interaktion und Musik

Bevor es mit der Führung durch das Gebäude losgeht, können sich die Besuchergruppen bei Kaffee und Keksen an die neue Umgebung gewöhnen. Die Führungen für Menschen mit Demenz finden ausschließlich an den Ruhetagen des Ausstellungshauses statt. Damit sich die Mitarbeiterinnen voll und ganz den beeinträchtigten Besuchern widmen können und diese nicht gestört werden.

Natürlich beginnt die Einführung ins Thema schon an der Kaffeetafel. Im Gespräch werden die Besucher auf die Führung vorbereitet. Auf dem Plattenteller dreht sich währenddessen eine Langspielplatte. "Der kleine grüne Kaktus" schallt durch den Raum. Manch einer summt leise mit.

Kein Therapieersatz

Am Ende gibt es den verdienten Applaus für die Museumsmitarbeiterinnen. Rundherum sieht man glückliche Gesichter. Der Ansatz, den Menschen mit Demenz eine kleine Auszeit zu verschaffen, die glücklich macht, ist gelungen. Da sind sich Museum und Betreuer einig. Er wolle unbedingt bei der nächsten Führung wieder mit dabei sein, ruft ein Mann im Rollstuhl. Das sei ein Erlebnis, das er nicht vergessen werde.

Auch wenn die Führungen in den Opelvillen keinen therapeutischen Ansatz haben und auch keine Therapie ersetzen können: "Ziel ist es, den Menschen ein Stück Lebensqualität zu schaffen", erläutert Museumsleiterin Kemfert. "Lebensqualität, die den Augenblick verschönern kann."

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