Protest gegen die Bundesregierung während einer Demo. Auf einem Banner steht z.B. "They got money for wars but can't feed the poor."

Wer ist schuld an Inflation und hohen Energiepreisen, wer kein richtiger Demokrat? Im Landtag hat die Linke einen "heißen Herbst" angekündigt und eine harte Grundsatzdebatte ausgelöst - auch über sich selbst.

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Debatte um "heißen Herbst" im Landtag

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Am Tag zuvor waren die Folgen des Kriegs in der Ukraine schon einmal Streit-Thema gewesen - und die Abgeordneten glühten bis zum Abend verbal ordentlich vor. Also begann Landtag-Vizepräsident Frank Lortz (CDU) den Donnerstag beschwichtigend und disziplinierend zugleich. Die Kombi griff nicht ganz.

Jovial plauderte Lortz über das jüngste Spiel der Fußball-Elf des Landtags, die gerade "2:2 gewonnen" habe. Streng tadelte er die Vermutung seines CDU-Parteikollegen Manfred Pentz vom Vorabend, der AfD diene zur politischen Bildung der "Stürmer" - das einstige Hetzblatt der NSDAP also.

Dann noch ein Appell: "Ich hoffe, dass wir den heutigen Tag friedlich miteinander verbringen." Und es folgte ein kurzer, heftiger und auch giftiger Schlagabtausch im Plenarsaal. (Die ganze Debatte über den "heißen Herbst" sehen Sie in den Videos aus dem Landtag.)

Prinzipielle Fragen

Es wurde grundsätzlich. Wer ist schuld an der Krise? Wer spaltet das Land, steht gar auf der Seite Russlands? Kommen sich bei den Herbstprotesten die rechte AfD und die Linke verdächtig nah? Lassen die Bundes- und die Landesregierung die Menschen in der Not allein? Haben sie gar das Land ruiniert?

Ausgelöst hatte die Linke die hitzige Debatte mit der Ankündigung, einen "heißen Herbst" maßgeblich mitgestalten zu wollen. Protestaktionen seien wegen "der sozialen Kälte auch in Hessen" dringend nötig. "Die gewaltigen Preissteigerungen lassen viele Menschen um ihre Existenz bangen", sagte Linken-Fraktionschef Jan Schalauske.

Aber die Landesregierung ("Totalausfall") habe bisher nichts unternommen. Ein Gasgipfel habe nicht einmal ein Verbot von Strom- und Gassperren oder Zwangsräumungen für überforderte Privathaushalte erbracht.

Linke: Soziale Kälte spaltet

Der hessische Verfassungsschutz hatte schon im August die Befürchtung geäußert, bei einem "heißen Herbst" könnten Extremisten - gerade von rechts - die Krisen ausnutzen. Sie bereiteten sich schon darauf vor, mehr Wutbürger als in der Corona-Pandemie zu rekrutieren.

Die Linke ist mit dem Vorwurf konfrontiert, mit ihren eigenen Sozialprotesten unter dem Titel "Heißer Herbst" nicht weit vom Kurs der AfD zu liegen, die unter demselben Motto Aufrufe startet. Die Hufeisentheorie lebt auf: Demnach wären sich Linke und Rechte am Ende in manchem ähnlicher, als behauptet. In einem entgegen anderslautender Beteuerungen ablehnendem Verhältnis zur Demokratie vor allem. Das konterte Schalauske als erster Redner vorsorglich.

Es sei doch nicht die Linke, die das Land spalte. Und ein "heißer Herbst" sei auch keine Gefahr für die Demokratie. Im Gegenteil, meinte Schalauske. Das spaltende Problem sei die aktuelle Sozialpolitik. "Dass Menschen für Solidarität, Gerechtigkeit und ihre sozialen Interessen auf die Straße gehen, das ist ein wichtiger Beitrag zur Demokratie."

CDU findet es "einfach schlimm"

Dass er sich mit dem Ausdruck "braune Hetzer" heftig von der AfD abgrenzte, brachte Schalauske einen Ordnungsruf ein - aber keine milderen Angriffe der restlichen Fraktionen. "Das ist einfach nur schlimm", sagte der CDU-Sozialpolitiker Max Schad dazu, dass die Linke als SED-Nachfolgepartei für ihre Proteste den Begriff "Montagsdemo" der damaligen DDR-Opposition gekapert habe.

Schad sagte zwar, er wolle die Linke nicht mit der AfD gleichsetzen. Beide wollen seiner Meinung nach im Herbst aber dasselbe: "Mobilisierung gegen das System". Die Linke in Hessen mache gerade das, was die AfD kurz vorher in Thüringen schon gemacht habe: einen "heißen Herbst" auf die Tagesordnung des Landtages zu bringen.

Minister fordert "verantwortungsvolle Solidarität"

Ähnlich äußerte sich Sozialminister Kai Klose (Grüne) mit Blicken nach rechts und links: "Sie sind leider der Versuchung erlegen, hier außen und da außen, die Spaltung zu vertiefen." Die Sorgen vieler Menschen verlangten stattdessen "verantwortungsvolle Solidarität". Sein Parteikollege Marcus Bocklet fand es beschämend, dass die Linke wegen schlechter Umfragewerte "gemeinsame Sache "mit denen da drüben" mache.

Nicht weniger drastisch wurde FDP-Fraktionschef René Rock. Für ihn war es entlarvend, dass weder Linke noch AfD den Angriffskrieg Russlands als die Ursache der aktuellen Krise benannt hätten. Beide Fraktionen hätten nicht nur kein klares Verhältnis zur Demokratie. "Sie haben ein gestörtes Verhältnis zur Ursache der Krise, deshalb können sie diese Krise nicht bewältigen."

SPD: Hessen ist viel zu spät

Wie Rock betonte Lisa Gnadl, sozialpolitische Sprecherin der SPD, dass die Ampel-Regierung wichtige Entlastungen längst beschlossen habe. Hessen aber habe überfällige eigene Maßnahmen nach dem Vorbild des Bundes und anderer Bundesländer versäumt - einen Notfallfonds etwa. Denn es gehe um pragmatische Hilfe, nicht um den besten Protest.

Zum Sozialgipfel, den Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) angekündigt hat, sagte Gnadl: "Der hätte doch längst stattfinden müssen." Dem hielt Grünen-Sozialpolitiker Bocklet entgegen: Hessen werde seinen Beitrag leisten. Man habe die Entlastungspakete des Bundes abgewartet, um zielgenau vor allem denen zu helfen, die nicht aus eigener Kraft die Krise bewältigen könnten.

AfD gegen alle

Schwarz-Grün in Wiesbaden, die Ampel in Berlin, die hier wie dort oppositionelle Linke: Gegen alle richteten sich die Attacken der AfD. Die Corona- und die Energiepolitik hätten weite Teile der Bevölkerung "in den Ruin getrieben", sagte Volker Richter, sozialpolitischer Sprecher der Fraktion.

Die Ankündigung eines "heißen Herbstes" auch durch die AfD bedeutet laut Richter alles andere als einen Schulterschluss mit der Linken. Sie sei es, die "definitiv die Systemfrage" stelle. Das sei verfassungswidrig.

Hintergrund: Vom Bundesverfassungsschutz wird die Linke als Gesamtpartei nicht überwacht, seit kurzem aber die AfD – als rechtsextremistischer Verdachtsfall. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat gerade angekündigt, auf hessischer Ebene ebenfalls die Beobachtung aufzunehmen. Die AfD bestreitet den Vorwurf und wehrt sich rechtlich dagegen auf Bundes- und auf Landesebene.

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