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hr-Reporterin über das Ultranet-Projekt

Bildkombination: Fotos von Strommasten links, rechts Grafik Streckenverlauf eingezeichnet in Karte

Durch Hessen führt bald eine Stromautobahn: Laut der Bundesnetzagentur kann der erste Abschnitt der Stromtrasse Ultranet in Südhessen gebaut werden. Anwohner fürchten um ihre Gesundheit aufgrund von Strahlenbelastung und Lärm. Ein Überblick.

Ultranet soll Windenergie von Norden nach Süden bringen – das Projekt kann nach dem Planfeststellungsbeschluss der Bundesnetzagentur kommen. Es handelt sich hierbei um eine geplante Gleichstromverbindung zwischen Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, die auch durch Hessen läuft. Die ersten Klagen drohen. Fragen und Antworten zu Ultranet.

Was ist das Besondere an Ultranet?

Über die insgesamt 340 Kilometer lange Leitung sollen große Strommengen besonders schnell transportiert werden können. Und das ohne größere Verluste von Leistung, wie Betreiber Amprion betont.

Das Besondere: Bei Ultranet laufen erstmals Wechsel- und Gleichstrom auf ein und denselben Strommasten. Und zwar mit einer Spannung von 380 Kilovolt. Diese Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstechnik (HGÜ) ist neu in Deutschland und noch weitestgehend unerforscht, wie das Bundeamt für Strahlenschutz erklärt .

Ultranet gilt als Pilotprojekt. Der Bauabschnitt im südhessischen Ried ist der erste des gesamten Projekts, der von der Bundesnetzagentur genehmigt wurde.

Wer baut Ultranet?

Verantwortlich für den Bau und Betrieb der Gleichstromverbindung ist die Bundesnetzagentur zusammen mit dem Dortmunder Übertragungsnetzbetreiber Amprion Gmbh und der Transnet BW. Amprion GmbH und Transnet BW sind zwei der vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland. Die anderen beiden sind 50Hertz und TenneT.

Übertragungsnetzbetreiber sind auf den Transport großer Strommengen spezialisiert. Sie beliefern regionale Netzbetreiber wie Stadtwerke, die den Strom dann wiederum an die Verbraucher weitergeben.

Wie funktioniert Ultranet?

Ziel ist die "Erhöhung der Übertragungskapazität vom windstarken Norden Deutschlands in das verbrauchsstarke Baden-Württemberg", so die Bundesnetzagentur in ihrer aktuellen Pressemitteilung. Dafür braucht es sogenannte Stromautobahnen, also Höchstspannungsleitungen. Über diese können große Mengen Gleichstrom in kurzer Zeit transportiert werden.

Für die Leitungen werden größtenteils schon bestehende Strommasten verwendet. Diese Hybridleitung bezeichnet der Netzbetreiber Amprion auf seiner Informationsseite als "nicht nur wirtschaftlich von Vorteil, sondern auch für Mensch und Natur." Neue Masten müssten demnach kaum gebaut werden.

Mithilfe der HGÜ gehe außerdem wenig Energie verloren – laut Netzbetreibern ein großer Vorteil von Gleichstrom im Gegensatz zum bisher in Europa gängigen Wechselstrom. Und damit auch ein wichtiger Baustein in Sachen Energiewende.

Die Ultranet-Trasse soll eine Übertragungsleistung von 2 Gigawatt haben.
Die Einspeisung erfolgt über Konverter jeweils an den Enden der Strecke. Diese müssen extra gebaut werden. Sie regulieren und stabilisieren dann im Betrieb das Stromnetz.

Warum braucht es die Gleichstromtrasse?

Kohle- und Kernkraftwerke gehen stufenweise vom Netz. Gleichzeitig prophezeien die Bundesnetzagentur und auch die Betreiber, dass der Strombedarf in Ballungs- und Industriegebieten steigen wird. Als Beispiel wird der Umstieg auf E-Mobilität genannt.

Laut Betreibern sorgen Höchstspannungsleitungen mit Gleichstrom beim Verbraucher für eine stabile Stromversorgung und einen geringeren Verbrauch. Überschüssig produzierter Strom aus den Windkraftanlagen im Norden kann in ganz Deutschland verteilt werden.

Wo genau wird die Stromtrasse in Hessen verlaufen?

Die Gleichstromtrasse soll vom nordrhein-westfälischen Osterath bei Düsseldorf nach Phillipsburg in Baden-Würtemberg verlaufen. In Hessen führt sie durch den Rheingau-Taunus-Kreis entlang der Gemeinden Idstein, Hünstetten, Eppstein und Niedernhausen.

Vorbei an Frankfurt geht es ins Hessische Ried. Hier soll die Trasse von Biblis nach Bürstadt und dann nach Lampertheim, Viernheim und schließlich über die hessische Grenze nach Wallstadt in Baden-Württemberg führen.

Von 2027 an soll von Osterath aus der Ausbau in Richtung Norden stattfinden und damit eine Stromanbindung nach Emden (Niedersachsen) geschaffen werden, zu den Windparks in der Nordsee.

Was passiert auf dem ersten Ultranet-Streckenabschnitt?

Zwischen Bürstadt (Bergstraße) und Wallstadt (Baden-Württemberg) plant Amprion den Abriss einer alten Stromstrasse. Dort sollen neue, höhere Strommaste gebaut werden, auf denen dann die Gleichstromverbindung laufen soll, wie Amprion informiert.

Damit ist dieser Streckenabschnitt der einzige, auf dem bisher bauliche Maßnahmen geplant sind. Nördlich dieser Strecke können die vorhandenen Wechselstromtrassen gleichzeitig für Ultranet genutzt werden.

Wann geht es mit dem Ultranet-Bau los?

2014 hat Amprion bei der Bundesnetzagentur den ersten Antrag eingereicht, um Ultranet zu bauen. Neun Jahre später, Ende Juni 2023, gab es nun grünes Licht für den ersten Bauabschnitt in Südhessen: Die Bundesnetzagentur hat den Planfeststellungsbeschluss für den Abschnitt Ried bis Wallstadt erteilt.

Die Bauarbeiten sollen im Oktober 2023 starten. Amprion will zuvor zu Bürgersprechstunden in Südhessen laden. Das wird auch nötig sein, denn der Protest gegen den Bau der Trasse war in den vergangenen Jahren groß.

Welche Kritik gibt es an dem Ultranet-Projekt?

Besonders in Niedernhausen (Rheingau-Taunus) und in Lampertheim (Bergstraße) haben die Menschen große Bedenken bezüglich der geplanten Stromtrasse. Sie fürchten um ihre Gesundheit aufgrund von Strahlenbelastung, Lärm, elektrischen und magnetischen Feldern. In beiden Städten haben sich Bürgerinitiativen gegründet.

Der Verein BI Umweltschutz Niedernhausen.Eppstein e.V. wirft den Verantwortlichen zum Beispiel vor, die Auswirkungen des Hybridbetriebs auf Mensch und Umwelt seien bisher noch völlig unerforscht. Es seien Flächen verplant worden, auf denen in unmittelbarer Nähe eine Schule stehe. Außerdem verlaufe die Trasse zu nah an Wohnhäusern. Geplante Neubaugebiete könnten nicht mehr gebaut werden.

In der Stellungnahme der Stadt Lampertheim gegen das Planfeststellungsverfahren heißt es, die Stadt befürchte durch das Vorhaben "erhebliche Nachteile sowohl für die im akustischen und elektromagnetischen Einwirkungsbereich der neuen Leitung lebenden und arbeitenden Menschen als auch für ihre eigene städtebauliche Entwicklung."

Lampertheim hat außerdem schon vor Monaten eine Klage vorbereiten lassen. Sollte die Bundesnetzagentur den Planfeststellungsbeschluss erteilen – wie jetzt geschehen – und Änderungsvorschläge dabei nicht berücksichtigen, wolle man vor Gericht ziehen, so die Ankündigung der Stadt. Ob es soweit kommt, ist bisher unklar. Der Beschluss ist noch nicht öffentlich.

Auch Niedernhausen will klagen, sollten die Baupläne Amprions abgesegnet werden. Am 15. Juli 2023 ist eine Demonstration vor dem hessischen Landtag in Wiesbaden geplant. Die Forderungen der Ultranet-Gegner: Kein Wechsel- und Gleichstrom gleichzeitig am Mast sowie das Verlegen von Erdkabel.

Sendung: hr4, 04.07.2023, 14.30 Uhr