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Mehr Platz für Radfahrer: Verkehrsversuch am Anlagenring in Gießen

Straße mit vier Autospuren, darauf mehrere Autos, die an einer Ampel anfahren.

Gießen schafft ab Mitte Juni auf einer Hauptverkehrsachse mehr Platz für Radfahrer. Was Fahrradaktivisten schon lange fordern, stößt bei Autofahrern und Gewerbetreibenden auf Skepsis. Auch ein zuständiger Forscher der Uni Gießen ist gespannt, wie es läuft.

Lange wurde er diskutiert, ab Mitte Juni soll er beginnen: der Verkehrsversuch am Gießener Anlagenring. Für ein Jahr bekommt der Fahrradverkehr eine (fast) exklusive, mindestens drei Meter breite Spur auf dem Ring, der wichtigsten innerstädtischen Verkehrsverbindung. Für Autos wird der Ring gleichzeitig zur Einbahnstraße. Die Fahrbahn wird abschnittsweise umgebaut, Ende September sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.

Auf dem bisher vierspurigen, in beide Richtungen befahrbaren Ring müssen die Autos künftig auf den beiden äußeren Fahrspuren gegen den Uhrzeigersinn um die Innenstadt fahren. Die Zufahrten zu Parkhäusern, Parkplätzen und Grundstücken bleiben erreichbar. Die beiden inneren Fahrspuren werden zur Fahrradstraße. Busse dürfen außen und innen fahren, auch Rettungswagen dürfen alle Fahrspuren nutzen.

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Das Ziel: Es sollen sich mehr Menschen aufs Rad trauen, sagt Bürgermeister und Ordnungsdezernent Alexander Wright (Grüne) zur Begründung. Bis 2035 soll sich der Anteil des Radverkehrs in der Stadt verdoppeln. Bislang gilt der Ring unter Radfahrern als gefährlich. "Wir haben sehr viele Konflikte auf dem Anlagenring, sehr viele Unfälle", sagt Wright. "Wir hoffen, dass es davon weniger gibt, dass die Leute künftig gerne unterwegs sind."

Stadt will Ampelphasen verlängern

Wright schließt nicht aus, dass Autofahrerinnen und Autofahrer während des Versuchs längere Wege fahren müssen - wobei die Stadt die Ampelphasen verlängere und zudem mit Tonsignalen für Fußgänger versehe. Mit dem Fahrrad werde es aber schneller und vor allem sicherer.

Expertinnen und Experten gingen langfristig davon aus, dass der Autoverkehr in der Innenstadt so um bis zu 13 Prozent zurückgehen könnte, sagt Wright. Ob das Ziel erreicht wurde, sollen nach dem Ende des Versuchs, dessen Kosten bei 1,2 Millionen Euro liegt, externe Gutachter untersuchen.

Gewerbetreibende skeptisch bis ängstlich

Gewerbetreibende sind skeptisch, einige fürchten, dass der wirtschaftliche Schaden den Nutzen überwiegt. Heinz-Jörg Ebert vertritt als Vorsitzender der Interessensgemeinschaft BID-Seltersweg die Anliegen der Dienstleister dort - der Seltersweg ist einer Studie zufolge eine der meistfrequentierten Einkaufsstraßen in Städten unter 100.000 Einwohner.

Ebert übt sich in Pragmatismus. "Mobilität verändert sich überall und Innenstädte verändern sich überall", sagt er. "Wenn der Versuch gelingt, sind wir begeistert - und wenn nicht, dann nehme ich den Bürgermeister beim Wort, wird es andere Wege geben."

Forscher: "Gehe davon aus, dass es am Anfang knirscht"

Wright wiederum verweist auf Studien, nach denen der Handel durch verkehrsberuhigte Innenstädte belebt wird. Wissenschaftliche Daten zu dem Projekt sammelt Stefan Hennemann, Professor für Wirtschaftsgeographie an der Uni Gießen.

Er plädiert dafür, erst einmal unvoreingenommen an die Sache heranzugehen: "Wir haben in Deutschland das Auto seit Jahrzehnten immer attraktiver gemacht. Es ist deshalb gar nicht so einfach, im Kopf frei zu werden und sich neuen Dingen zu öffnen, von denen man noch gar nicht weiß, wie sie wirken." Er gehe davon aus, dass es "natürlich am Anfang knirscht".

Andere Städte wie etwa Paris zeigten aber, wie anpassungsfähig der Mensch am Ende sei. "Man muss die Vorteile erst einmal spüren, um sie wertschätzen zu können." Sollte es "anhaltend chaotisierende Verkehrssituationen mit Auswirkungen auf den ÖPNV geben, dann müsste die Stadt allerdings schnell nachsteuern", betont der Forscher.

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Diskussionen über Verkehrsberuhigung

Hessenweit wird darüber diskutiert, den innerstädtischen Verkehr vom Auto hin zu alternativen Fortbewegungsarten umzustellen. In Frankfurt wurde vor kurzem eine Machbarkeitsstudie vorgestellt, nach der der City- und Anlagenring mit einem Fahrradweg ausgestattet werden soll. Der Wegfall von Parkplätzen wird mitunter hoch emotional diskutiert - wie jüngst im umgestalteten Oeder Weg.

In Kassel durften im April und Mai im Stadtteil Kirchditmold keine Autos in den Ortskern fahren - der Versuch wird derzeit ausgewertet. Verteuerte Parkplätze sorgten in Gießen für Klagen von Gastronomen - die Parksituation verschlimmere die Umsatzschwierigkeiten, die die Branche nach der Corona-Pandemie und der gestiegenen Inflation ohnehin schon habe.

In Fulda wiederum kämpft eine Interessengemeinschaft aus Geschäftleuten zum Beispiel für eine Verkehrsberuhigung der Löherstraße. "Das radikalste Modell wäre eine Fußgängerzone", sagt der Vorsitzende Thorsten Mager. "Und unsere Mindestziel wäre eine Einbahnstraße." Was die beste Lösung ist, soll eine Arbeitsgruppe zusammen mit der Stadt ausloten.

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56 Kommentare

  • Gut für (junge) in der Stadt wohnende Radfahrer. Weniger gut für Menschen aus dem Umland.

    Die ÖPNV-Anbindungen zu zahlreichen Umlandgemeinden ist mangelhaft. Zudem werden durch den Versuch Busse wortwörtlich ausgebremst. Zwar dürfen diese auf den Radstreifen.

    Radfahrer genießen jedoch Priorität, dürfen nebeneinander fahren, dabei aber nicht überholt werden.

    Ich befürchte, die schon zu kämpfen habende Innenstadt wird infolge dieses Versuchs noch größere Probleme bekommen, wenn die Menschen auf die im Umland liegenden Gewerbegebiete oder vollends auf Internetkaufhäuser umsteigen.

  • Besser als das Gerase auf den 4 Spuren. Hier ist jeden Tag Rallye. Der Anlagenring ist jenseits jeder modernen und menschlichen Städteplanung. Leider bremst die Verkehrsplanung seit Jahren jede Form flüssigen Vorankommens egal ob in oft verstopften Bussen, unsinnigen Ampelschaltungen für Autos und/ oder für Fahrradfahrer. Ich fahre beides, beides ist an vielen Stellen schlecht. Bushaltestellen sind entweder nicht vorhanden oder stinken als Camplager z.B. am Marktplatz. Das ist unattraktiv. Hier könnte man prima die Knöllchen-Polizei einbinden. Da gibt es viel zu bewegen. Die neuen Radstraßen sind ein guter Anfang.

  • Ich halte nicht viel davon unsere Ärzte sind in der Innenstadt mein Mann ist zu100 Prozent schwerstbehindert und sitzt im Rollstuhl wir fürchten dann kommen unsere Ärzte nicht mehr zu uns nach Hause,aber es ist wie mit allem die behinderten werden vergessen ,ich wünsche jedem das er gesund bleibt.

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