Der obdachlose Christian Endres sitzt in dicker Winterjacke, mit Mütze und Schlafsack unter einer Brücke, um sich vor Schneeregen zu schützen.

Schnee, Eisregen, Temperaturen um den Gefrierpunkt: Menschen, die ohne Dach über dem Kopf auf der Straße leben, begeben sich im Winter in Gefahr. Kommunen und soziale Einrichtungen helfen ihnen mit speziellen Angeboten.

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Obdachlos im Winter: Wie bedürftige Menschen in Hessen den Winter überleben

Sozialarbeiter im Wohncontainer
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Winterfeste Schlafsäcke, Isomatten, einen großen Spender mit rotem Früchtetee und haufenweise Hanuta-Waffeln: All das packen Daniel Schneider und Mourad Baadidi in den Kofferraum eines weißen Transporters, der im Schneematsch vor der Obdachlosenunterkunft am Frankfurter Ostpark steht.

Es ist der Kältebus des Frankfurter Vereins für Soziale Heimstätten. Von Ende Oktober bis Mai fahren die beiden Sozialarbeiter und ihre Kollegen damit jeden Abend bis zum frühen Morgen Touren durch die Stadt. Ihr Ziele: U-Bahn-Stationen, Brücken, Bushaltestellen, Unterführungen, Parkbänke - Plätze, an denen obdachlose Menschen die Nacht verbringen.

Bei nasskalter Witterung könne eine Nacht im Freien lebensbedrohlich werden, sagt Daniel Schneider: "Es gibt die Gefahr, dass die Menschen draußen unterkühlen. Die Kälte zieht überall rein, ihre Sachen werden nass und trocknen nicht mehr."

Kältebus: einmaliges Angebot in Hessen

Deshalb sei es wichtig, den Obdachlosen mit dem Kältebus ein Angebot zu machen, sagt Schneider: "Wir achten darauf: Haben die Leute Schlafsäcke, Isomatten, Planen, um sich gegen die Nässe zu schützen?" Was Baadidi und Schneider Nacht für Nacht verteilen, ist winterfeste Neuware von einem Outdoor-Ausrüster.

Der Kältebus-Sprinter parkt mit Warnblinker am Straßenrand in Frankfurt, Sozialarbeiter Daniel Schneider und Mourad Baadidi stehen in dicken Winterjacken vor dem Auto und lächeln in die Kamera.

Finanziert wird das alles von der Stadt Frankfurt. Der Kältebus fährt dort seit rund 20 Jahren, ein hessenweit einmaliges Projekt.

Gut 100 Kilometer legen die Sozialarbeiter jede Nacht zurück, dabei haben sie rund 140 Kontakte mit obdachlosen Menschen. "Bei manchen prüfen wir nur aus der Ferne, ob jemand gut ausgerüstet ist. Bei anderen gibt es auch mal ein längeres Gespräch: Möchte die Person etwas von uns annehmen, wie geht es ihr?", erklärt Schneider.

Rund 80 Frankfurter leben im Winter draußen

Nach Angaben der Stadt Frankfurt leben derzeit knapp 2.800 wohnungslose Menschen in städtischen Notunterkünften. 200 bis 250 Menschen sind demnach obdachlos und leben auf der Straße. Von diesen zieht es die meisten im Winter in die Notunterkünfte, etwa am Ostpark oder in der B-Ebene der U-Bahn-Station Eschenheimer Tor. Insgesamt gebe es für alle einen Schlafplatz, versichert die Stadt.

Doch ein harter Kern von etwa 80 Personen bleibe auch bei Minusgraden lieber auf der Straße, schildert Daniel Schneider vom Kältebus: "Das sind häufig Menschen, die psychisch auffällig sind, die den Kontakt zu anderen nicht aushalten und sich eher zurückziehen." Gerade nach ihnen müssten die Helfer auf ihren nächtlichen Touren schauen, denn "häufig sind sie leise und bitten nicht aktiv um Hilfe".

"Mit dem richtigen Equipment kann ich überleben"

Einer von ihnen ist Christian Endres. Der 48-Jährige war schon einmal zehn Jahre lang obdachlos, seit fünf Monaten lebt er wieder auf der Straße. Mourad Baadidi und Daniel Schneider sprechen ihn unter einer Brücke im Osten von Frankfurt an, wo er mit einer dicken Winterweste und Mütze in einem Schlafsack eingemummelt sitzt.

Der obdachlose Christian Endres in dunkelblauer Winterjacke und mit Mütze auf dem Kopf schaut entspannt in die Kamera

Früher habe er die Angebote der Sozialarbeiter immer abgelehnt, sagt er: "Das war schlimm für mich, ich habe mich geschämt. Aber wenn jetzt jemand kommt, mir in die Augen schaut und mich mit Respekt behandelt, ist das okay." Wichtig sei, dass die Helfer "nicht den Stolz brechen von dem Mann, dem sie helfen wollen".

Vor dem Winter auf der Straße habe er keine Angst, erzählt Endres. Entscheidend sei die richtige Ausstattung. Also zum Beispiel: Thermohose statt Stoffhose. "Mit dem richtigen Equipment kann ich überleben", sagt der Obdachlose. Eine Isomatte nimmt Christian Endres von den Kältebus-Fahrern dann doch gern an.

In Frankfurt ist laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Obdachlosigkeit im hessenweiten Vergleich ein besonders großes Thema. Außer dem Kältebus gibt es dort im Winter weitere zusätzliche Angebote, etwa seit 2022 eine Notübernachtungsstätte der Diakonie speziell für Frauen.

Notschlaf-Container in Kassel zum Überwintern

In Kassel sind gut 1.300 wohnungslose Menschen in städtischen Einrichtungen untergebracht, darunter rund 250 Geflüchtete aus der Ukraine. Die Zahl der Obdachlosen schätzt die Stadtverwaltung auf rund 150. Im Winter besteht ein erhöhter Bedarf für deren Unterbringung, weswegen es unter anderem eine städtische Notschlafstelle gibt und in Einzelfällen auch Hotelzimmer angemietet werden.

Holger Landgrebe sitzt seitlich auf dem bezogenen Bett in einem Notschlafcontainer in Kassel, neben ihm ein kleines Schränkchen, auf dem Getränke stehen.

Ein besonderes Angebot kommt vom Verein Soziale Hilfe: Er richtet unter Mithilfe von Kasseler Kirchengemeinden sechs sogenannte Notschlafstellen ein. Das sind Wohncontainer, die mit Bett, Schrank, Tisch, Kühlschrank und bei Interesse mit Kochplatten ausgestattet sind. Fünf davon werden von November bis Ende April fest vergeben, so dass dort ein obdachloser Mensch oder ein Paar sicher überwintern kann. Ein weiterer Container wird für kurzfristige Notübernachtungen genutzt.

Holger Landgrebe ist dank so eines Containers wieder etwas auf die Füße gekommen. Nach einem halben Jahr auf der Straße konnte der 53-Jährige sich dort wieder daran gewöhnen, vier Wände um sich zu haben. "Im Winter hast du nichts, wo du dich aufwärmen kannst bei der Kälte. Draußen schläfst du, wo gerade Platz ist und wo du nicht verjagt wirst", sagt er. Der Container bot ihm einen geschützten Platz, "das war erst mal ungewohnt".

Mitarbeiter des Vereins Soziale Hilfe betreuen die Bewohner der Container. Viele von ihnen lebten häufig seit Jahren auf der Straße, sagt Sozialarbeiter Lorenz Strelczuk: "Die meisten waren schon im stationären Wohnen, im betreuten Wohnen, und das hat alles nicht geklappt." Der Container gebe ihnen "langsam ein Gefühl dafür zurück, wie es ist, eigene vier Wände zu haben".

Eine warme Dusche und einen Tee

Über die Notfallstellen gelingt es im besten Fall, Obdachlose wieder in feste Wohnverhältnisse zu bringen. "Wir haben eine gute Erfolgsquote", sagt Strelczuk. Auch Holger Landgrebe ist dank der Winter-Initiative runter von der Straße. Er lebt seit dem Frühjahr wieder in einem möblierten Apartment.

Der Innenraum der Tagesaufenthaltsstätte Panama in Kassel mit Holzstühlen und Tischen, im Hintergrund die Essensausgabe, an der ein Mann ansteht.

Die Tagesaufenthaltsstätte Panama in Kassel hat im Winter zusätzlich an den Wochenenden geöffnet. Obdachlose Menschen können sich dort aufwärmen mit warmem Essen und Getränken oder einer Dusche, wie die ehrenamtliche Helferin Weinhild Steiner sagt. Der Bedarf sei da. "Das ist morgens schon deutlich erkennbar, wenn viele an der Tür stehen - nach dem Motto: Boah, ich muss jetzt hier rein, hier bekomme ich meinen heißen Tee", erzählt sie.

Hilfsangebote im Winter in ganz Hessen

In Darmstadt leben schätzungsweise 290 Menschen auf der Straße. Knapp 1.500 Menschen hat die Stadt in Wohnheimen, Obdachlosenunterkünften oder Hotels untergebracht. Dazu zählen rund 700 Menschen aus der Ukraine und fast 500 anerkannte Asylsuchende, die noch keine eigene Wohnung gefunden haben. "Auch in diesem Winter werden wir gemeinsam mit unserem Netzwerk Obdachlosenhilfe Hilfsbedürftigen ausreichend Möglichkeiten anbieten können, im Warmen und Trockenen zu übernachten", betont Bürgermeisterin und Sozialdezernentin Barbara Akdeniz (Grüne).

In Offenbach werden wohnungs- und obdachlose Menschen in Gemeinschaftsunterkünften, Hotels und Notunterkünften untergebracht. Ab Dezember steht eine zusätzliche Winternotunterkunft der Diakonie mit zehn Schlafplätzen zur Verfügung, die im vergangenen Jahr laut Stadt gut genutzt wurde.

In Wiesbaden gilt in der kalten Jahreszeit die sogenannte Winterregelung: Mittellose obdachlose Menschen können in einem Männer- oder Frauenwohnheim übernachten. In der Teestube des Diakonischen Werks stehen zudem einige Notübernachtungsplätze zur Verfügung.

In Fulda gibt es neben städtischen Übernachtungsmöglichkeiten im Winter den "Hot Room" der Caritas für obdachlose und bedürftige Menschen, wo sie ein warmes Essen und Gesellschaft bekommen. 

In Marburg wird neben Obdachlosenunterkünften unter anderem ein städtisches Übernachtungsheim zur Unterbringung genutzt. Dort gebe es genug Platz, teilt die Stadt mit.

In Hanau steht in der Frostperiode zusätzlich zu städtischen Notschlafplätzen für Männer und Frauen die Notschlafstelle "Schneckenhaus" der Caritas zur Verfügung.

In allen hessischen Städten kümmern sich zahlreiche soziale Einrichtungen und Träger zudem mit Tagesangeboten um bedürftige Menschen. Darunter sind Teestuben, Essensausgaben, Bahnhofsmissionen und ehrenamtliche Hilfsinitiativen.

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Wohnungs- und obdachlose Menschen in Hessen

Ende Januar 2023 lebten in Hessen 22.645 wohnungslose Menschen in Not- und Gemeinschaftsunterkünften oder vorübergehend in Hotels und Pensionen. Darunter sind Geflüchtete mit abgeschlossenem Asylverfahren und Geflüchtete aus der Ukraine. Ein Jahr zuvor gab es 12.110 Wohnungslose in solchen Unterkünften - ein Anstieg von 87 Prozent.
Laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband ist der enorme Zuwachs durch die gestiegenen Flüchtlingszahlen infolge des Ukraine-Kriegs zu erklären. Außerdem habe sich der Datenumfang der Städte und Kommunen verbessert. Erst seit zwei Jahren würden die Zahlen erhoben.
In der Statistik werden keine obdachlosen Menschen erfasst, die auf der Straße leben. Wie viele Menschen von Obdachlosigkeit in Hessen betroffen sind, dazu gibt es keine umfassenden Schätzungen.

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