Porträts der drei Spitzenkandidaten: Boris Rhein, Nancy Faeser und Tarek Al-Wazir.

Wer wird der künftige Ministerpräsident? Am 8. Oktober gehen mit den Spitzenkandidaten von CDU, Grünen und SPD gleich drei Politiker ins Rennen. Amtsinhaber Rhein, seinen Vize Al-Wazir und Bundesinnenministerin Faeser trennt nicht nur die Ausgangslage.

Seit 25 Jahren regieren nun schon Ministerpräsidenten der CDU in Hessen. Bei der Landtagswahl am Sonntag machen ihr erstmals gleich zwei Politiker anderer Parteien den Posten offiziell streitig.

Boris Rhein (CDU), Nancy Faeser (SPD) und Tarek Al-Wazir (Grüne) eint einiges. Sie alle sind gebürtige Hessen und Anfang 50. Alle drei haben wichtige Regierungsämter inne. Rhein war Minister, wurde im Mai 2022 Ministerpräsident. Al-Wazir ist seit zehn Jahren als Wirtschafts- und Verkehrsminister auch Vize-Ministerpräsident. Faeser übernahm Ende 2021 den Posten der Bundesinnenministerin im Kabinett von Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Neben vielen politischen Positionen ist auch die Ausgangslage freilich höchst unterschiedlich, wie der jüngste ARD-Hessentrend gezeigt hat: Die mit Abstand besten Karten scheint Boris Rhein zu haben. Entschieden wird aber erst am 8. Oktober, und viele Menschen sind noch unentschlossen. Wer also kandidiert da gegen wen? Eine Vorstellung in alphabetischer Reihenfolge:

Tarek Al-Wazir, 52, Diplom-Politologe aus Offenbach:

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Tarek Al-Wazir (Grüne): "Man kann nur miteinander regieren, nicht gegeneinander"

Der Spitzenkandidat der hessischen Grünen für das Amt des Ministerpräsident Tarek Al-Wazir auf dem Landesparteitag in dem Mainarcaden
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Falls er Ministerpräsident wird, will er den Eid in Turnschuhen leisten - wie einst sein Parteifreund Joschka Fischer, als dieser erster grüner Minister in Hessen wurde. Die Chancen sind laut Umfragen nicht rosig. Historisches hat der Offenbacher Realo Al-Wazir aber längst in der Landespolitik vollbracht.

Dass er zu den Architekten des erstmals in einem Flächenland geschmiedeten Bündnisses von Schwarz-Grün werden würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Die Mutter nahm den Schüler Tarek mit zu Protesten gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens. Später im Landtag, in den er mit 24 Jahren kam, schimpfte man ihn aus Reihen der CDU wegen der Herkunft seines Vaters "Student aus Sanaa".

Mangels anderer Optionen zum Mitregieren rückte Al-Wazir 2013 als Fraktionschef seine Partei weiter in die Mitte – und sich selbst auf den Posten des Ministers für Wirtschaft und Verkehr. Bis heute zitiert er gern den vertrauensbildenden Satz des damaligen Ministerpräsidenten Bouffier: "Stellen wir uns alle mal vor, der andere könnte auch recht haben."

Geht es um Zahlen, Fakten, Zusammenhänge, hat Al-Wazir häufig recht und zeigt das auch - ob in Landtagsdebatten oder Interviews. Ein Vielwisser, der Akten verschlingt. Im Wahlkampf tritt der Offenbacher als besonnene Stimme der Vernunft auf. Zwischen den Großauftritten Rheins und Faesers rückt er dadurch medial aber auch in den Hintergrund.

Typ Doppelhaushälfte steuert gegen

Der Angst vor dem Preis der Energiewende und dem "Verbotspartei"-Vorwurf begegnet Al-Wazir mit betont sozial-ökologischer Behutsamkeit, nennt sich "Typ Doppelhaushälfte", von dem die Leute wüssten, dass er Augenmaß bewahre. So viel bürgerlichen Realo-Sinn teilen nicht alle in der Umweltbewegung. Gegner vermissen Tempo beim Windkraft-Ausbau oder witterten gar Verrat von Grundsätzen, wenn er den A49-Lückenschluss nicht stoppen kann, weil der Bund das Sagen hatte.

Al-Wazir verspricht unter anderem mehr Kitaplätze und Sozialwohnungen. Er setzt darauf, dass die Hessen-Grünen bei Wahlen den Bundestrend in der Regel übertreffen. Den Ärger über das Heizungsgesetz spüren sie aber auch hierzulande schmerzhaft.

Dabei hatten sie vor wenigen Jahren die CDU in Hessen zwischenzeitlich eingeholt, Al-Wazir war populärer als Bouffier. Das machte Mut für die ambitionierte Kandidatur 2023. Für den Fall, dass es für den Auftritt als Turnschuh-Ministerpräsident nicht reicht, baute Al-Wazir im hr-Interview mit demonstrativer Verlässlichkeit vor: Er werde auch am Montag nach der Wahl noch da sein.

Nancy Faeser, 53, Juristin aus Schwalbach am Taunus:

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Nancy Faeser (SPD): "Bildung muss wieder Priorität haben"

Nancy Faeser (SPD), Spitzenkandidatin für die Landtagswahl spricht auf der Veranstaltung zum Wahlkampfauftakt der SPD in Bad Homburg
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Als die SPD beim letzten Mal der CDU in Hessen nach einer Wahl auf Augenhöhe begegnete, hätte sie Justizministerin werden sollen. Doch der Versuch einer vor der Wahl ausgeschlossenen rot-grünen Minderheitsregierung unter Duldung der Linken endete 2008 im Desaster innerparteilicher Spaltung. Auch die tragende Rolle bei der anschließenden SPD-internen Konsolidierungsmission hat die 53-jährige Faeser dahin geführt, wo sie nun steht.

Sie war Partei-Generalsekretärin, innenpolitische Sprecherin der SPD im Landtag und als Fraktionschefin Oppositionsführerin. Seit 2019 ist sie auch unumstrittene Landesvorsitzende, seit Anfang Dezember 2021 Mitglied der Bundesregierung: nach langer kommunal- und landespolitischer Vorarbeit eine Top-Karriere.

Der Griff aus Berlin nach ihrem Traumberuf in Wiesbaden offenbart gerade seine Risiken. Dabei schien es wohlgeplant, als sie 2021 als Bundesinnenministerin an die Spitze eines Schlüsselressorts kam. Doch nur zum Teil wirkt der Amtsbonus wie erhofft: Faeser hat an Profil gewonnen, ist inzwischen bekannter als Rhein und Al-Wazir. Aber sie ist auch unbeliebter.

In ihrer Doppelrolle als Ministerin und Kandidatin droht sie aufgerieben zu werden. In Berlin steht sie in einem der heikelsten Ressorts unter Dauerdruck und zahlt Lehrgeld. Dass sie erst spät im Innenausschuss zur umstrittenen Versetzung von Cyber-Sicherheitschef Arne Schönbohm Auskunft gab, bot CDU und Medien Gelegenheit zu Attacken. Es stieß auch in den eigenen Reihen auf Unverständnis. 

Empathie und Härte

Hinzu kommt die Kritik an der Asylpolitik. Faeser, die zum konservativen SPD-Flügel zu zählen ist, hält dagegen: Anders als ihre CDU-Vorgänger habe sie einem EU-Asylkompromiss den Weg geebnet. Zur gleichen Zeit machen ihr Wahlkampf-Pannen in Hessen zu schaffen. Vom Ziel, dort Chefin einer Ampel-Koalition zu werden, scheint sie deutlich entfernt. Zuletzt sanken ihre Umfragewerte noch.

Dabei wird sie nicht nur an der SPD-Basis als herzlicher und fröhlicher Mensch geschätzt, sondern auch bei politischen Kontrahenten. Ihr Motto: Empathie und Härte, je nachdem. Nach den Anschlägen von Hanau dankten ihr Überlebende und Angehörige der Opfer, dass sie engen Kontakt hielt. Den Kampf gegen Rechts hat Faeser auch zu den zentralen Zielen ihrer Arbeit als Ministerin erklärt, sie verbot gerade zwei rechtsextreme Gruppierungen.

Die Behebung von Bildungsungerechtigkeit und Fachkräftemangel sind Faesers weitere Wahlkampfthemen. Eine Reformära will sie starten. Dass sie ihr "Herz in Hessen" hat, war mehr als ein Lippenbekenntnis. Gleichzeitig hat sie aber auch erklärt, einzig als erste Ministerpräsidentin des Bundeslandes zurückkehren zu wollen. Vor allem die CDU hat das als einen wunden Punkt ihrer Kampagne identifiziert.

Boris Rhein, 51, Jurist aus Frankfurt:

Als "Grüßaugust" verspottet die Opposition ihn gerne mal. Den Vorwurf mangelnder Substanz kontert Rhein souverän, indem er sich weiter volksnah gibt und sich mitten im Wahlkampf lachend auf einem Jahrmarkt fotografieren lässt. Der 51-Jährige ist ja schon, was seine Herausforderer werden wollen. Stetiger Aufstieg sieht aber anders aus.

Rhein war nicht erste Wahl seines Vorgängers Volker Bouffier. Der trat dann doch zurück, damit sich der Jüngere mit dem Amtsbonus des Regierungschefs auf die Mission Machterhalt begibt. 2010 als Innenminister in dessen erstem Kabinett hatte er Bouffier schon mal beerbt. Mühelos schlüpfte der strukturkonservative Shootingstar Rhein in die Rolle des Hardliners, der das Einkesseln von Blockupy-Demonstraten verteidigt.

Die krachend verlorene Wahl als allzu siegesgewisser Oberbürgermeister-Kandidat seiner Heimatstadt Frankfurt startete 2012 eine jähe Talfahrt. Wenn Rhein heute vor Überheblichkeit wegen guter Landtagswahl-Umfragen warnt, steckt diese Erfahrung dahinter. Mit dem Etikett "Verlierer" wurde er damals als Wissenschaftsminister zur Seite geschoben. Rhein überwinterte geduldig, bis er in der Rolle des Landtagspräsidenten glänzen konnte.

Koalitionsfrieden bewahrt

Auch affärenfreie Regierungsführung kann er bislang. Der Koalitionsfrieden hält jedenfalls auch unter Rhein, trotz steigender Spannung mit den Grünen, seit diese an der Ampel-Bundesregierung beteiligt sind. Der CDU-Mann gilt als Typ Moderator, greift aber bei Bedarf unsentimental durch: Als erste Amtshandlung besetzte er die Spitze des Justizministeriums neu mit dem Spitzen-Juristen Roman Poseck (CDU).

Allzu starke Polarisierungen meidet der Ministerpräsident - auch im Wahlkampf. Im Asylstreit fordert er schärfere Grenzkontrollen, dauernd rechts zu blinken oder in Fettnäpfe zu treten überlässt er anderen. Mit CDU-Bundeschef Friedrich Merz tritt er im Wahlkampf-Endspurt erst gar nicht auf.

Das heißt nicht, dass Rhein einfachen, auch mal vereinfachenden Botschaften zur Verteidigung seines Postens ganz abgeneigt wäre. "Autos verbieten verboten", warnt er zum Beispiel auf Wahlplakaten. Mit "Kurs statt Chaos" wirbt er vor allem mit Regierungskunst Marke Hessen-CDU, die sich von der Berliner Ampel unterscheide. Ist es doch allenfalls eine hessische Ampel-Konstellation, die ihm laut Umfragen noch gefährlich werden könnte.

Seine Bekenntnisse zur Brandmauer gegen die AfD sind eindeutig, kosten ihn strategisch aber auch nichts. Rhein hat nach dem 8. Oktober vermutlich die Option auf eine klare Führungsrolle in Zweier-Bündnis mit SPD oder Grünen. Er schien den Sozialdemokraten eigentlich mehr zugeneigt. Ärger über die SPD wie im Fall des wieder gelöschten Videos gegen Rhein könnte die Gewichte aktuell zugunsten der bislang verlässlichen Grünen verschieben.

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