Spitzenkandidaten der Landtagsparteien in Hessen bei einer Debatte im hr-Fernsehstudio

Was hilft gegen Lehrermangel? Wer hilft den Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung? Und wann kommen Bus und Bahn auch auf dem Land? Spitzenpolitiker der Landtagsparteien diskutierten im hr-fernsehen über wichtige Fragen - fanden aber nicht immer Antworten.

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Hessen wählt - Spitzenrunde zur Landtagswahl

Sechs Porträts von Ines Claus, Robert Lambrou, Elisabeth Kula, Stefan Naas, Günter Rudolph und Angela Dorn.
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Zehn Tage vor der Landtagswahl haben sich die Spitzenkandidaten oder Fraktionsvorsitzenden der sechs Landtagsparteien zu einer Diskussionsrunde im hr-Fernsehstudio getroffen. Eineinhalb Stunden lang sahen sich Ines Claus (CDU), Angela Dorn (Grün), Günter Rudolph (SPD), Robert Lambrou (AfD), Stefan Naas (FDP) und Elisabeth Kula (Linke) am Donnerstagabend einem wahren Fragengewitter von Bürgerinnen und Bürgern und von den hr-Moderatorinnen Kristin Gesang und Ute Wellstein ausgesetzt.

Und darum ging's: Digitalisierung, Ärzteversorgung, Schule, Cannabis-Legalisierung, Migration, Freiwillige Feuerwehr, Verkehr - und das teils im 20-Sekunden-Takt, den die Berufspolitiker, geübt in langen Debatten im Landtag, erstaunlicherweise durchgehend einhielten. Für manche Themen sah die Regie der Live-Sendung 20-minütige Blöcke vor, auf ihnen soll hier der Fokus liegen.

Bildung: Was hilft gegen Lehrermangel?

Ines Claus, Fraktionschefin der Regierungspartei CDU im Landtag, hielt fest, dass jedes Bundesland vor der Herausforderung stehe, ausreichend Lehrer für eine wachsende Zahl von Kindern zu finden. Hessen sei auf einem guten Weg, habe dank CDU-Kultusministern 10.000 Lehrerinnen und Lehrer eingestellt und zuletzt 4.000 Stellen geschaffen.

Günter Rudolph, dessen SPD nach 24 Jahren in der Opposition nur allzu gerne einmal wieder die Schulpolitik im Land verantworten würde, erntete für die Feststellung, die langjährige CDU-Politik auf diesem Gebiet habe "tiefe Narben hinterlassen", spontanen Applaus aus dem Publikum. Würden die Lehrer besser bezahlt und die vielen befristeten Stellen entfristet, sähe die Lage gleich besser aus, meinte er.

Dass 12.000 Lehrerinnen und Lehrer nur befristet eingestellt und nach fünf Jahren ausgetauscht würden, damit sie sich nicht einklagen könnten, bemängelte auch Linken-Fraktionschefin Kula und bekam noch mehr Applaus - nicht so viel jedoch wie Wissenschaftsministerin Dorn, die der These von AfD-Landeschef Lambrou, die "Masseneinwanderung seit 2015" habe die aktuellen Probleme an Hessens Schulen mitverursacht, deutlich widersprach.

Vielmehr brauche man Zuwanderung, um eben dem Mangel an Fachkräften auch im Bildungsbereich zu begegnen, sagte die nominelle Spitzenkandidatin der Grünen, die bekanntlich Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir ins Rennen um das Ministerpräsidentenamt schicken.

FDP-Spitzenkandidat Stefan Naas sagte, den Lehrern wäre schon geholfen, wenn sie weniger Verwaltungsaufgaben übernehmen müssten - worin letztlich ebenso alle übereinstimmten wie in der Ansicht, der Meister müsse dem Master gleichgestellt werden. Schon um den Fachkräftemangel im Handwerk zu beheben, müsse der Meisterbrief kostenfrei sein.

Migration: Wer hilft den Kommunen?

Die Debatte um die zunehmende Zuwanderung nach Europa und Deutschland nimmt kurz vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern am 8. Oktober zu, viele Kommunen fühlen sich überfordert - haben die Grünen mit ihren Einwänden gegen eine Verschärfung des Asylrechts den Ernst der Lage nicht erkannt? Im Gegenteil, antwortet Angela Dorn, man stehe doch nun kurz vor einer Einigung auf ein gemeinsames europäisches Verfahren.

SPD-Mann Rudolph verwies auch auf die europäischen Partner, von denen Deutschland in dieser Frage nun mal abhängig sei - und warnte ebenso wie Dorn vor der Gefahr, die Stimmung im Land könne über dieser Frage kippen.

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Naas plädierte dafür, den Geflüchteten in Hessen nicht mehr Geld, sondern Gutscheine für Sachleistungen zu geben - so könne man einen Pull-Faktor streichen, weswegen Flüchtlinge eher nach Deutschland kämen als in andere Länder. Insgesamt müssten aber weniger Menschen hier Zuflucht suchen, sonst entspanne sich die Lage in den Kommunen kaum.

Das fordere die AfD doch seit Jahren und werde dafür von anderen Parteien geprügelt, sagte Lambrou - letztlich folge die Politik hier nicht dem Willen einer Mehrheit im Land. Diese Aussage mochte freilich nur ein Mensch im Fernsehstudio beklatschen.

Deutlichen Applaus erhielt dagegen Linken-Fraktionschefin Kula, die sagte, sie finde die Migrationsdebatte "einfach nur schrecklich". Die Anerkennungsquote der Geflüchteten liege mit 72 Prozent auf einem historischen Hoch. Warum investiere das Land nicht mehr in die Integration dieser Menschen, statt viele von ihnen ausweisen zu wollen und gleichzeitig andernorts im Ausland um Fachkräfte zu werben?

Ines Claus schließlich präsentierte auch keine Lösungen für die bei der Unterbringung der Geflüchteten überforderten Kommunen, distanzierte sich aber auf mehrmalige Nachfrage von der Wortwahl des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz. Dieser hatte - faktenwidrig - in dieser Woche behauptet, in Deutschland könnten sich Ausreisepflichtige "die Zähne machen lassen", während Deutsche noch nicht mal einen Termin beim Arzt bekämen.

Verkehr: Wann kommt endlich die Bahn?

Höhere Zuschüsse vom Land für die Verkehrsverbünde, mehr Personal für die Verkehrsunternehmen und ein Ausbau der Verbindungen im ÖPNV - so würde die SPD die Verkehrswende im Land angehen, sagte Günter Rudolph. Wie viele Milliarden das letztlich kosten würde? Hier wollte er sich dann doch nicht auf eine Zahl festlegen, das sei letztlich eine Frage der Haushaltsaufstellung.

Als Vertreterinnen der Regierungsparteien, die in den vergangenen Jahren die Posten im Landeshaushalt gewichteten, verwiesen Claus und Dorn zum einen auf die Flatrate-Tickets für die Nutzung von Bus und Bahn im Land, zum anderen auf die vielen Baustellen, die mittel- und langfristig mehr Bus- und Bahnverbindungen ermöglichen.

Naas bemängelte mit Verweis auf die gewünschte Technologieoffenheit und Freiheit der Verkehrsmittelwahl, dass auch andere Verkehrswege im Land ausgebaut werden müssten - er meinte natürlich Straßen. Dass es mehr Schienen in Hessen geben solle, liege nicht zuletzt am Bundesverkehrsminister Volker Wissing, und der sei von der FDP.

Lambrou konnte nicht ganz erklären, wie das Land bei sinkenden Subventionen gleichzeitig den Öffentlichen Nahverkehr so ausbauen könne, dass noch mehr Menschen ihn nutzten, so dass Ticketerlöse nicht mehr nur 30, sondern 50 Prozent der Kosten der Verkehrsverbünde decken. So oder so bleibe das Auto auf dem Land Fortbewegungsmittel Nummer eins.

Kula sagte, im Vergleich zu anderen Bundesländern schieße Hessen den Verkehrsverbünden zu wenig Geld zu. Auch um ärmeren Menschen kostenlose Tickets zu ermöglichen, müsse die Politik grundsätzlich ihre Prioritäten ändern - für Rüstungsausgaben zum Beispiel gebe es ein riesiges Sondervermögen, dabei brauche es viel mehr Geld für den ÖPNV.

Und sonst so?

Interessant war, dass die AfD in den Umfragen zwischen 15 und 17 Prozent pendelt, während die Linke mit 3 bis 4 Prozent demnach nicht mehr in den Landtag einzöge - doch bei der Diskussion im hr-fernsehen erhielt die Linke Kula viel mehr Applaus als ihr AfD-Konkurrent Lambrou. Dabei hatte das Umfrageinstitut Infratest dimap im Auftrag des hr die rund 100 Zuschauerinnen und Zuschauer im Studio so ausgewählt, dass sie repräsentativ für die Bevölkerung standen.

Am Ende sollten die Spitzenpolitikerinnen und -politiker noch sagen, welche Aussage sie bei ihren Mitbewerbern gut fanden. Dem kamen fast alle nach. Die Grüne Dorn zum Beispiel nannte es "sehr respektabel", dass sich Claus von der umstrittenen Zahnersatz-Aussage ihres Parteichefs Merz distanzierte.

Claus freilich gab das Lob nicht zurück. Sie sagte, sie finde immer lobende Worte für Vertreter demokratischer Parteien - also nicht von der AfD. Und lobte sich dann lieber selbst: "Ich werde auch nach diesem Abend CDU wählen."

Hinweis: Eine Passage in einer früheren Version konnte so verstanden werden, als habe Lambrou die aktuellen Probleme an den Schulen allein auf die "Masseneinwanderung seit 2015" zurückgeführt. Wir haben die Stelle konkretisiert.

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