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Kulturminister Gremmels im Gespräch

Timon Gremmels am Rednerpult des Bundestages

Seit Mitte Januar hat Hessen mit Timon Gremmels einen neuen Kunstminister. Im Interview erklärt er, warum er am Staatstheater Wiesbaden durchgegriffen hat, warum er es bedauert, keine Blockflöte zu spielen und warum es wichtig ist, das Thema Gendern zu regeln.

Am 19. Januar hat Timon Gremmels das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur von Angela Dorn (Grüne) übernommen. Der in Marburg geborene und in Kassel aufgewachsene SPD-Minister war bislang vor allem in der Energiepolitik tätig.

Einen Wechsel in die Kultur sieht er nicht als problematisch an - im Gegenteil, wie er im Interview sagt. Außerdem spricht er über seinen Kulturbegriff, den Intendantenwechsel am Staatstheater Wiesbaden und das Gendern. Und: Er bekennt sich klar zur zuletzt umstrittenen Weltkunstschau documenta.

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hessenschau.de: Herr Gremmels, was für ein Kulturtyp sind Sie? Stehen eher Rock- oder Klassik-Konzerte auf Ihrem Programm, eher Poetry Slam oder das Staatstheater?

Timon Gremmels: Da ich 14 Jahre lang Abgeordneter im ländlichen Raum war, gehört für mich das örtliche Theater der freien Szene genauso zur Kultur wie das Dorftheater. Und das Staatstheater in Kassel gehört genauso dazu wie das Konzert im Auestadion. Ich habe einen weiten Kulturbegriff und kann mir auch gerne mal Schlager oder Volksmusik anhören.

Kultur kann auf sehr unterschiedliche Weise inspirierend sein. Bei Theater, Oper und auch in der Literatur finde ich die gesellschaftliche Auseinandersetzung immer wichtig, aber manchmal müssen Theater und Oper auch einfach nur zur Erholung da sein, zum Runterkommen und Genießen.

hessenschau.de: Gibt es etwas, das Ihnen in Ihrer Funktion als Minister besonders wichtig ist bei Kunst und Kultur?

Gremmels: Ich habe als Minister die Aufgabe, die Kunst- und Kulturfreiheit zu gewährleisten. Ich werde beispielsweise nicht bei einem Intendanten anrufen und sagen, ich würde gern dieses oder jenes Stück sehen. Ich würde auch nicht nach einer Premiere sagen: Das geht so nicht.

Es ist nicht die Aufgabe der Politik, in konkrete Inszenierungen, in konkrete Fragen des Spielplans einzugreifen. Das ist Aufgabe der Intendanten, und da mische ich mich nicht ein.

hessenschau.de: Stichwort Intendanten. Bei deren Besetzung kann die Politik durchaus eingreifen, wie Sie gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit beim Staatstheater Wiesbaden bewiesen haben. Ihre erste Amtshandlung war, mit Uwe Eric Laufenberg zu sprechen und die Zusammenarbeit zu beenden.

Gremmels: Der Vertrag wäre im Sommer ausgelaufen. Wir haben uns im beiderseitigen Einvernehmen getrennt. Am Ende des Tages wäre es sehr viel teurer gewesen, auch für das Staatstheater, der Ansehensverlust und der Imageverlust, wenn wir jetzt nicht gehandelt hätten. Er hat als Intendant sein Markenzeichen gesetzt, das ist gar keine Frage. Aber es gab Verhärtungen dort und manchmal ist es so: Wenn ein neuer Minister kommt, hat man andere Zugänge. Deswegen konnten wir uns einigen.

Wir haben uns außerdem entschieden, die Unterstützung der Direktion neu aufzustellen. Jetzt können wir die aktuelle Spielzeit gut zu Ende bringen. Zudem haben wir mit der neuen Doppelintendanz die Weichen gestellt, dass es nach der nächsten Spielzeit neu losgeht. Ich glaube, das Staatstheater Wiesbaden ist auf einem sehr guten Weg. Ich möchte, dass es in der Zukunft Schlagzeilen mit tollen Inszenierungen macht und nicht, weil es dort Querelen gibt.

hessenschau.de: Was wird die Aufgabe des Geschäftsführenden Koordinators sein, der als Interimslösung eingesetzt ist?

Gremmels: Es geht um die Unterstützung bei allem, was jetzt technisch-kaufmännisch zu tun ist. Wir wollen, dass möglichst viele Inszenierungen noch ihren Weg auf die Bühne finden. Jack Kurfess hat 30 Jahre Erfahrung in leitenden Positionen im Kulturbetrieb. Das ist eine gute Lösung, um in der nächsten Spielzeit mit einer neuen Intendanz durchstarten zu können.

hessenschau.de: Allerdings gibt es in manchen Häusern immer wieder Querelen zwischen der Intendanz und der kaufmännischen Leitung. Wie ist das zu lösen?

Gremmels: Das sind unterschiedliche Professionen, die unterschiedlicher Qualifikationen bedürfen. Ich erwarte aber sowohl von der Intendanz als auch von einer Administration, dass sie miteinander arbeiten, dass sie wechselseitig ein Verständnis füreinander haben. Dass sie auch Konflikte austragen, aber intern und nicht auf offener Bühne oder in der Stadtgesellschaft.

hessenschau.de: Wo werden Ihre weiteren Prioritäten liegen? Im Koalitionsvertrag ist oft von Begriffen wie Heimat und Traditionen, von Regionalität die Rede.

Gremmels: Wir leben in einer Zeit, in der unsere Demokratie unter Feuer steht, in der sie angegriffen wird von ganz, ganz verschiedenen Seiten. Kunst, Kultur und Wissenschaft können einen wichtigen Beitrag leisten, die Demokratie zu sichern. Zugang zu Kunst, zu Kultur, Zugang zu unterschiedlichen Meinungen und Sichtweisen zu fördern, das halte ich für einen wesentlichen Auftrag. Und da will ich auch meinen Schwerpunkt setzen.

Das gilt sowohl für die Hochkultur als auch für die Soziokultur. Kultur ist Teil der Daseinsvorsorge, sie ist essenziell für die Demokratie, die demokratische Willensbildung einer Gesellschaft. Sie führt zusammen, sie baut Brücken. Das ist mein Kulturverständnis und das möchte ich gerne in der täglichen Politik unterlegen.

hessenschau.de: Ihr Schwerpunkt war bislang das Thema Energiepolitik. Wie beackern Sie nun dieses völlig neue Feld?

Gremmels: Ich bin ja Kasseler und als Kasseler ist man durch die documenta, durch Hessen Kassel Heritage immer mit Kulturpolitik umgeben. Gerade die documenta war in den letzten Jahren immer ein Thema, bei dem Sie sich positionieren und verhalten müssen. Insofern ist das für mich kein komplettes Neuland.

Ich finde, es ist in der Politik völlig legitim, dass man nicht als Fachexperte kommt. Für jemand, der eine Führungsverantwortung übernimmt, ist entscheidend, dass er bereit ist, sich darauf einzulassen und zu führen.

hessenschau.de: Stichwort documenta. Die Weltkunstschau macht immer wieder Schlagzeilen. Die einen sagen, die Politik muss dort nun eingreifen, die anderen sehen die Kunstfreiheit in Gefahr. Wie sehen Sie Ihre Rolle?

Gremmels: Als zuständiger Fachminister werde ich Teil des Aufsichtsrates sein. Ich glaube, dass man nun behutsam vorgehen muss, weil es natürlich ein heißes Thema ist, gerade aktuell. Es gibt Konflikte in der Welt, die sich in Kunst und Kultur widerspiegeln. Das müssen Kunst und Kultur zum Teil auch aushalten.

Ich bin kein Freund davon, dass Politik immer sofort eingreift. Aber wir haben in Deutschland eine spezielle Vergangenheit, wir haben eine spezielle Verantwortung. Auch das muss sich widerspiegeln. Den richtigen Weg zu finden zwischen der Kunstfreiheit auf der einen Seite und der Frage der Menschenrechte auf der anderen Seite, das ist die große Herausforderung, die ich sehe.

hessenschau.de: Bislang gibt es aber nicht einmal mehr eine Findungskommission für eine künstlerische Leitung der documenta 16 im Jahr 2027. Wann wäre der Punkt, an dem Sie mit der Faust auf den Tisch hauen und sagen: Ich muss jetzt ein Machtwort sprechen?

Gremmels: Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind, auch in der Diskussion mit der Stadtgesellschaft. Inzwischen liegen verschiedene Gutachten vor, die wir bewerten müssen. Wichtig ist, dass wir bis April zu einer Entscheidung kommen, damit die Findungskommission tagen kann und wir hoffentlich Ende des Jahres eine künstlerische Leitung haben.

Ziel ist, dass die nächste documenta fristgerecht starten kann und Kassel wieder für 100 Tage im Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit steht. Ich hoffe, dass dann über andere Themen gesprochen wird als über Antisemitismus.

Das letzte, was die documenta dabei braucht, ist ein Minister, der auf den Tisch haut. Ich möchte nicht, dass das im Streit zwischen Bund, Land und Kommune endet. Das sind wir der documenta schuldig, das sind wir der Tradition schuldig, das sind wir der Kunst und Kultur schuldig.

hessenschau.de: Fest steht: Die documenta wollen Sie auf jeden Fall erhalten.

Gremmels: Das steht überhaupt und zu keinem Zeitpunkt in Frage. Die documenta muss erhalten bleiben. Sie muss in Kassel bleiben, sie muss unabhängig sein. Und sie muss dem internationalen Anspruch genügen. Die documenta darf nicht verkommen zu einer hessischen, deutschen oder europäischen Einrichtung, sondern sie muss für 100 Tage im Mittelpunkt der internationalen Auseinandersetzung über zeitgenössische Kunst und Kultur sein. Das ist ihr Markenkern.

hessenschau.de: Eine andere Baustelle sind die gestiegenen Kosten, die viele Bereiche der Kultur betreffen. Da ist die Clubszene, da sind einige Theater, die dringend baulich saniert werden müssen. Jeder will Geld. Wie gehen Sie damit um?

Gremmels: Das ist für mich kein neues Phänomen, das hat mich schon als Bundestagsabgeordneter in meinem Wahlkreis Kassel ereilt. In der Coronazeit und auch in die Spielstätten ist viel Geld geflossen. Es sind tolle Projekte auf den Weg gebracht worden.

Nach der Rückkehr in den Normalbetrieb sind aber viele Menschen zu Hause geblieben. Man hat verlernt, in ein Theater, in eine Spielstätte, in einen Club zu gehen. Man schaut vielleicht eher Netflix und andere Dinge. Das ist in der Tat ein Problem.

Da geht es nicht allein ums Geld, da müssen wir gemeinschaftlich gucken, wie wir Leute wieder an solche Veranstaltungen heranführen können. Das ist ein langwieriger Weg. Aber wenn solche Einrichtungen wegfallen, dann stirbt auch ein Teil der Identität einer Stadt. Wenn es etwa Einrichtungen wie das Theaterstübchen in Kassel nicht mehr geben würde, dann würde mir etwas fehlen.

hessenschau.de: Zurück zum Koalitionsvertrag. Dort liegt der Schwerpunkt auf dem Regionalen, auf Brauchtum. Sind das Punkte, die Ihnen am Herzen liegen?

Gremmels: Es geht ja insbesondere um Kultur im ländlichen Raum. Es ist der Hinweis, dass wir Kultur nicht nur in den Großstädten, in Ballungsräumen fördern, sondern auch gucken, was ist im ländlichen Raum los. Hessen ist zum Großteil ländlicher Raum, das muss man deutlich sagen. Natürlich ist Brauchtumspflege ein wichtiger Punkt.

Ich möchte aber nicht, dass die Dinge gegeneinander ausgespielt werden. Das ist vielleicht eine leichte Kritik an meiner Vorgängerin: Mein Eindruck bei ihr war, dass sie eher Richtung Großstadt, dem dortigen Umfeld, an Mittelzentren orientiert war, und weniger am ländlichen Raum und dessen Potenzialen. Da wollen wir stärker drauf gucken, aber nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung.

hessenschau.de: Sie haben in Ihrem neuen Stab mit Staatssekretär Christoph Degen einen Mitarbeiter, der aus dem Bereich der Musikschulen kommt. Diese sind vor allem in Hessen eine ganz große Baustelle, weil unter anderem die Musiklehrer in andere Bundesländer abwandern. Welche Pläne haben Sie für die Musikschulen?

Gremmels: Dieses Thema kenne ich auch aus Kassel und ich weiß, wie es dort um die Musikschulen bestellt ist. Ich kenne die Problematik der Bezahlung der Lehrkräfte. Für mich ist die musische Bildung eine Schlüsselbildung, in die wir investieren müssen. Seit Jahren ist die finanzielle Förderung des Landes für die Musikschulen stark zurückgefahren worden. Da müssen wir ran. Wir werden nicht nur über Blockflöten miteinander reden, sondern die ganze Breite der musischen Bildung thematisieren.

hessenschau.de: Dabei haben wir uns schon ausgemalt, wie Sie auf Presseterminen Blockflöten verteilen.

Gremmels: Ich habe selbst Blockflötenerfahrung. Wir sollten sie in der Schule auch erlernen. Man hat uns damit gelockt, dass wir in den Freizeitpark fahren, wenn wir Blockflöte lernen. Das hat bei mir aber nicht ausgereicht. Ich habe nach drei oder vier Stunden aufgegeben.

Heute finde ich es etwas schade, kein Musikinstrument spielen zu können. Insofern finde ich, dass das Thema Blockflöte durchaus eines ist, das man nicht nur ins Lächerliche ziehen sollte. Ich glaube, dass man durchaus darüber nachdenken muss: Was ist uns Bildung wert und wie kriegen wir musikalische Bildung umgesetzt?

hessenschau.de: Neben dem Thema Blockflöte hat das mögliche Gender-Verbot für öffentliche Einrichtungen für große Aufmerksamkeit gesorgt.

Gremmels: Sie wissen sicher, dass es nicht das Herzensanliegen der Sozialdemokratie war, sich in diesem Koalitionsvertrag mit diesem Thema zu beschäftigen. Das kam von Seiten der Union. Wir haben das aber mitgemacht. Ich möchte deswegen noch einmal deutlich sagen: Eine inklusive Sprache kann man auch ohne Sonderzeichen sprechen, darum geht es.

Es geht nicht darum, dass wir die inklusive Sprache verhindern wollen. Das steht im Koalitionsvertrag ganz klar und deutlich. Es gibt es zum einen die Rechtssprache, da ist es heute schon nicht vorgesehen. Und es gibt die Verwaltungssprache, da müssen wir jetzt Regelungen treffen. Und dann gibt es das, was in Forschung und Lehre gesprochen wird. Diese sind frei, da können wir uns rechtlich gar nicht einmischen. Es darf nur nicht sein, dass jemand, der nicht gendert, bei einer Prüfung schlechter gestellt wird als jemand, der gendert.

Ich möchte auch dazu beitragen, dass die Aufgeregtheit um dieses Thema sich etwas legt. Ich glaube, die deutsche Sprache ist so reichhaltig, dass wir inklusive Sprache auch so gut hinbekommen - wohl wissend, dass wir Leute mitnehmen müssen, die sich nicht von der männlichen und weiblichen Form angesprochen fühlen. Aber das braucht seine Zeit. Ich glaube: An dieser Stelle ist es wichtiger, Menschen mitzunehmen und sie zu überzeugen, als ihnen etwas vorzuschreiben oder zu verbieten.

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