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Das war das kulturelle Jahr 2023

Collage aus verschiedenen Farbflächen und Fotos. Z.B. im Vordergrund Salman Rushdie, wie er ein Buch hält, daneben Anna Netrebko singend in opulentem Kostüm, Ikke Hüftgold und Roger Waters während eines Konzertes.

Auch 2023 sieht sich die documenta mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert. Die Kulturszene streitet nicht nur wegen Roger Waters über Kunstfreiheit. Die berühmte Holbein-Madonna ist wieder in Frankfurt zu sehen. Ein Rückblick auf das hessische Kultur-Jahr.

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Jahresrückblicke 2023

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Hessischer Jahresrückblick 2023: Kultur

Januar

23. Januar: Die Ankündigung des Staatstheaters Wiesbaden, bei den Maifestspielen Anna Netrebko auftreten zu lassen, führt zu Streit. Die Starsopranistin steht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wegen ihrer angeblichen Nähe zu Präsident Putin in der Kritik. Der Wiesbadener Magistrat und das Land Hessen versuchen erfolglos, den Auftritt zu verhindern, auch Kulturstaatsministerin Roth (Grüne) schaltet sich ein. Ministerpräsident Rhein (CDU) lässt seine Schirmherrschaft ruhen.

31. Januar: Das Senckenberg Museum Frankfurt verordnet einem seiner ältesten und bekanntesten Exponate eine Frischzellenkur: Die Würgeschlange, die ein Wasserschwein verschlingt, soll restauriert werden. Im April gibt das Museum bekannt, die Restaurierung sei aufwendiger als gedacht und brauche statt weniger Monate mindestens ein Jahr.

Ausgestopfte Anakonda mit Wasserschwein im Museum

Februar

4. Februar: 12 points go to ... Hessen? Der Limburger Schlagersänger Ikke Hüftgold sichert sich mit seinem "Lied mit gutem Text" bei einer Abstimmung im Onlinedienst Tiktok den letzten Startplatz für den deutschen Vorentscheid des Eurovision Song Contests (ESC). Dort kann er sich letztlich aber nicht gegen die Hamburger Rockband Lord of the Lost durchsetzen.

8. Februar: Rund ein halbes Jahr nach dem Ende der documenta fifteen befassen sich der Kulturausschuss des Bundestags und der hessische Landtag erneut mit dem Antisemitismus-Skandal dort. Kunstministerin Dorn (Grüne) kündigt an, die Organisationsstruktur zu reformieren, und fordert mehr externe Expertise. Der Bund zeigt sich offen dafür, wieder mehr Verantwortung bei der Weltkunstausstellung zu übernehmen.

13. Februar: Nachdem er die FAZ-Journalistin Wiebke Hüster mit einem Beutel voll Hundekot angegriffen hat, suspendiert die Staatsoper Hannover ihren Chefchoreografen und Ballettdirektor Marco Goecke. Hüster erstattet Anzeige wegen Beleidigung und Körperverletzung. Ende November wird das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt.

März

7. März: Die Bad Hersfelder Festspiele stellen ihre Hauptrolle für die Auftakt-Premiere am 30. Juni vor - und brechen mit einer Tradition: In der insgesamt fünften Inszenierung des Shakespeare-Klassikers "König Lear" übernimmt mit Schauspielerin Charlotte Schwab erstmals eine Frau die namensgebende Rolle.

Das Szenenbild aus "Im Westen nichts Neues" zeigt sechs Soldaten im strömenden Regen.

13. März: Die erste deutsche Filmadaption des Antikriegsromans "Im Westen nichts Neues" gewinnt bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles vier Preise - so viele wie kein anderer deutscher Film zuvor. Mittendrin im Hollywood-Trubel: der Frankfurter Jungschauspieler Adrian Grünewald, der in der Verfilmung einen Soldaten spielt.

April

5. April: Die amerikanische Nu-Metal-Legende Limp Bizkit ist in der ausverkauften Jahrhunderthalle in Frankfurt zu Gast. Weil Frontman Fred Durst aber gleich am Anfang die Stimme versagt, verkommt der mehrfach verschobene Auftritt zur schwer erträglichen Farce. Statt das Konzert abzubrechen, holt sich Durst "Hilfe" aus dem Publikum und zieht wahllos Menschen aus der Menge auf die Bühne, die dort an seiner statt die Songs singen.

5. April: Roger Waters, berühmt geworden mit der britischen Prog-Rockband Pink Floyd, geht gerichtlich gegen die Absage seines Konzerts in der Frankfurter Festhalle vor. Die Stadt wirft ihm vor, die israel-feindliche BDS-Bewegung zu unterstützen und sich auf der Bühne antisemitisch geäußert zu haben - das dürfe man nicht zulassen. In einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht Frankfurt beruft Waters sich auf die Kunst- und Meinungsfreiheit.

Roger Waters in einem schwarzen Outfit mit Armbinde mit zwei gekreuzten Hämmern darauf.

17. April: Die Staatsanwaltschaft Kassel lehnt es ab, ein Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen der documenta fifteen einzuleiten. Die dort gezeigten Kunstwerke hätten nicht den öffentlichen Frieden bedroht und sich auch nicht gegen die inländische Bevölkerung gerichtet, hieß es zur Begründung. Außerdem seien die Darstellungen durch die Kunst- und Meinungsfreiheit geschützt.

Mai

5. Mai: Die russische Sopranistin Anna Netrebko tritt trotz großer Kritik bei den Maifestspielen in Wiesbaden auf. Vor ihrem Auftritt demonstrieren rund 450 Menschen gegen Netrebko und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Musikerinnen und Musiker des Hessischen Staatsorchesters zeigen mit einem Auftritt ihre Solidarität mit der Ukraine.

Demo gegen den Auftritt von Anna Netrebko in Wiesbaden

28. Mai: Nachdem ein Gericht seinen Auftritt erlaubt und Stadt und Land darauf verzichtet haben, in dem Rechtsstreit in die nächste Instanz zu gehen, tritt Roger Waters wie geplant in der Frankfurter Festhalle auf. Vor der Halle demonstrieren Hunderte gegen Judenhass und Antisemitismus.

Juni

3. Juni: Herbert Grönemeyer macht im Frankfurter Stadion den Auftakt für einen Sommer voller Konzert-Highlights. Auf die Deutschpop-Legende folgen internationale Stars wie Beyoncé, Depeche Mode, Harry Styles und Guns 'n' Roses - teilweise über mehrere Tage und fast immer vor ausverkauften Rängen.

30. Juni: In Frankfurt wird ein Platz nach Hannelore Elsner benannt. Die Schauspielerin lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 2019 fast 30 Jahre lang in Frankfurt. Zur Einweihung des Platzes an der Bockenheimer Warte kommen neben ihrem Sohn Dominik Elstner Weggefährten wie Iris Berben und Florian David Fitz.

Iris Berben (3.v.l), Schauspielerin, Mike Josef (SPD, M), Oberbürgermeister von Frankfurt, und Dominik Elstner (2.v.r), Sohn von Hannelore Elsner, bei der Einweihung des Hannelore-Elsner-Platzes an der Bockenheimer Warte in Frankfurt.

Juli

18. Juli: Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt vergibt den diesjährigen Georg-Büchner-Preis an Lutz Seiler. Die Jury begründete ihre Entscheidung mit der "unverwechselbaren Stimme" des Romanciers und Dichters aus Thüringen.

24. Juli: Marburger Archäologie-Studierenden gelingt ein Sensationsfund: Bei Übungsgrabungen finden sie eine mittelalterliche Sonnenuhr aus Holz und Bronze. Es ist das erste Grabungsstück dieser Art, das in Hessen gefunden wird.

August

27. August: Nach rund zwei Monaten gehen die Bad Hersfelder Festspiele zu Ende. Inszenierungen wie "König Lear", "Der Club der toten Dichter" oder das Musical "Jesus Christ Superstar" ziehen insgesamt mehr als 90.000 Besucherinnen und Besucher an.

König Lear Bad Hersfelder Festspiele

28. August: Im Juni warfen mehr als 30 Mitarbeitende der Arolsen Archives ihrer Direktorin und ihrem Stellvertreter Machtmissbrauch und eine toxische Arbeitsatmosphäre vor. Der Untersuchungsbericht einer Anwaltskanzlei kommt zum Ergebnis, dass der Direktion des weltweit größten Archivs zu NS-Opfern mit Sitz in Bad Arolsen (Waldeck-Frankenberg) "keine arbeitsrechtlich oder strafrechtlich relevanten Pflichtverletzungen" nachzuweisen sind.

September

1. September: Nach fast 20 Jahren in Kassel findet die Anime- und Manga-Convention "Connichi" erstmals in Wiesbaden statt. Die Messe ist nach Veranstalterangaben das größte ehrenamtlich organisierte Szenetreffen dieser Art in Deutschland und bietet neben Cosplay-Wettbewerben Vorträge und Workshops.

8. September: Um einer drohenden Insolvenz zu entgehen, startet das Frankfurter Satire-Magazin Titanic eine Rettungskampagne mit bekannten Gesichtern: Unter anderem Moderator Jan Böhmermann, Kabarettistin Maren Kroymann und Satirikerin Sara Bosetti werben in den sozialen Medien dafür, ein Abo abzuschließen. Mit Erfolg: Schon Ende des Monats vermeldet die Zeitschrift 6.000 neue Abonnentinnen und Abonnenten - genug, um für das nächste Jahr abgesichert zu sein.

Jan Böhmermann wirbt für den Erhalt des Satire-Magazins Titanic

Oktober

11. Oktober: Zum letzten Mal findet eines der größten Halloween-Spektakel Europas auf Burg Frankenstein nahe Mühltal (Darmstadt-Dieburg) statt. Nach monatelangem Ringen ist klar: Die Grusel-Veranstaltung muss wegen Sanierungsarbeiten nach mehr als 40 Jahren umziehen. 2024 soll auf der Burg Königstein im Hochtaunuskreis gefeiert werden.

17. Oktober: Schon vor dem Start hat die Frankfurter Buchmesse ihren ersten Eklat: Nach Antisemitismus-Vorwürfen gegen die palästinensische Autorin Adania Shibli wird die LiBeraturpreis-Verleihung für ihren Kurzroman "Eine Nebensache" verschoben. Bei der Eröffnungsfeier sorgt dann der slowenische Philosoph Slavoj Žižek für einen Aufruhr. Der hessische Antisemitismusbeauftragte Becker (CDU) wirft ihm vor, in seiner Rede die Taten der Hamas zu relativieren, und verlässt mehrfach den Saal. Zum Abschluss der Messe wird der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an den Schriftsteller Salman Rushdie verliehen.

Der Schriftsteller Slavoj Žižek steht auf der Bühne im Rahmen der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse und hält als Ehrengast seine Rede

November

1. November: Die "Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen" von Hans Holbein gilt als eines der größten Meisterwerke der deutschen Renaissance. Lange war das Gemälde in Hessen zu sehen, bis es 2012 für knapp 60 Millionen Euro an den Unternehmer und Sammler Reinhold Würth verkauft wurde. Für die Ausstellung "Holbein und die Renaissance im Norden" holt das Städel die "Holbein-Madonna" als Leihgabe zurück.

16. November: Die Findungskommission der documenta tritt nach Antisemitismus-Vorwürfen gegen eines ihrer Mitglieder geschlossen zurück. Der sechsköpfige Ausschuss sollte bis Ende des Jahres oder Anfang 2024 einen Kurator, eine Kuratorin oder ein Kollektiv für die documenta 2027 vorschlagen. In ihrem Rücktrittsschreiben zweifelt die Kommission die Kunstfreiheit in Deutschland und damit den Standort der Weltkunstschau an.

Die ehemaligen Mitglieder der Findungskommission der documenta 16: Gong Yan, Bracha L. Ettinger, Kathrin Rhomberg, Ranjit Hoskoté, Simon Njami und María Inés Rodríguez (v.l.n.r.)

17. November: Ein ausverkauftes Konzert von Rammstein-Frontmann Till Lindemann in Kassel wird kurzfristig abgesagt. Der Grund: ein nicht genehmigter Bauantrag für die kürzlich renovierte Eissporthalle. Die Fans sind empört, die Stadt verteidigt ihr Vorgehen, und der Veranstalter prüft rechtliche Schritte.

Dezember

14. Dezember: Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung stimmt mit großer Mehrheit dafür, die Oper an ihrem bisherigen Standort am Willy-Brandt-Platz neu zu errichten. Außerdem soll es weitere Verhandlungen für den Neubau des Schauspiels im Bankenviertel geben. Die Idee der sogenannten Kulturmeile wird damit wahrscheinlicher.

15. Dezember: Nach den Antisemitismus-Vorfällen auf der documenta fifteen liegt der Abschlussbericht zur Neuorganisation der Weltkunstausstellung vor. Das 46 Seiten starke Papier enthält 22 Empfehlungen zur Organisationsentwicklung. Ziel sei unter anderem die "Etablierung von wirkungsvollen Maßnahmen gegen Antisemitismus". Demnach sollen sich die Geschäftsleitung und die Künstlerische Leitung jeweils auf einen Verhaltenskodex verpflichten. Darin soll festgelegt sein, dass sie sich "eindeutig gegen Antisemitismus, Rassismus und sonstige Formen der Diskriminierung" positionieren.

Documenta Kunstwerk wird abgehängt

15. Dezember: Der Offenbacher Rapper Haftbefehl feiert seinen 38. Geburtstag mit einem großen Konzert. Mit dabei sind Szenegrößen wie Marteria und Farid Bang. Seine Fans nehmen für den Abend in der Frankfurter Jahrhunderthalle teils weite Wege auf sich - durchweg zufrieden sind sie aber nicht.

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